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In der Steinzeit war die Welt noch einfach. Die Männer jagten Mammuts und andere gefährliche Tiere, während die Frauen ausschließlich Nahrungspflanzen sammelten und auf die Kinder aufpassten. So oder so ähnlich würden wohl die meisten von uns die Aufgabenverteilung in der frühesten Epoche der Menschheitsgeschichte beschreiben. Neue Forschungsergebnisse zeigen aber, dass dieses bisher in den Medien gezeichnete Bild der historischen Realität wohl nicht entspricht, was es nötig macht, die Rolle der Frau innerhalb der steinzeitlichen Gesellschaft zu überdenken.

Mehr als 100 Jahre ist es schon her, dass man bei Bauarbeiten zur Donauuferbahn in der beschaulichen Wachau eher zufällig einen wahren Sensationsfund machte, welcher noch heute die Wissenschaft beschäftigt. Viele werden es schon ahnen, die Rede ist von der weltbekannten „Venus von Willendorf“. Diese ist elf Zentimeter groß und mittlerweile fast 30.000 Jahre alt, was an sich schon erstaunlich genug erscheint, da es sich somit um einen der ältesten bekannten Kunstgegenstände handelt. Die kleine Dame aus Kalkstein hat aber noch weitaus mehr als ihr hohes Alter an Erstaunlichem zu bieten, denn ihre wahrhaft füllige Figur mit ausladendem Hinterteil und Brust sowie die deutlich herausgearbeiteten weiblichen Geschlechtsmerkmale sind seit ihrer Entdeckung heißdiskutierter Gegenstand vielfältiger Interpretationen. Die üppige Nacktheit der Statuette sorgte etwa nicht nur bei den von der bürgerlichen Sexualmoral ihrer Zeit geprägten Entdeckern Anfang des 20. Jahrhunderts für Stirnrunzeln, sondern lieferte 2018 auch Anlass dafür, dass Facebook Fotos von der Dame wegen angeblicher Anstößigkeit für einige Zeit blockierte. Bei unseren steinzeitlichen Vorfahren dürfte die Darstellung von Nacktheit aber eher weniger Anstoß erregt haben, stellt das Willendorfer Fundstück doch bei weitem keinen Einzelfall dar, da bisher an die 200 ähnliche Darstellungen an verschiedenen paläolithischen Fundplätzen zwischen Westeuropa und Sibirien ausgegraben wurden. Bei einer dieser Statuetten handelt es sich mit stattlichen 35.000 bis 40.000 Jahren auf dem Buckel sogar um die älteste erhaltene Abbildung eines Menschen. Diese wurde 2008 in der Schwäbischen Alb gefunden und wird „Venus vom Hohlefels“ genannt. Von der Fachwelt wurden die altsteinzeitlichen Kunstwerke aufgrund ihrer häufig üppigen Rundungen zuerst als Fruchtbarkeitssymbole interpretiert, wie es auch heute noch in den Schulen unterrichtet wird. Zeitweise gingen manche Forscher davon aus, dass es sich bei den Figuren um eine Art von vorzeitlichen Pin-ups handelt. Andere sahen in den Darstellungen sogar den Beweis für eine matriarchal organisierte Gesellschaft. Neueste Forschungen rücken die Fundstücke jedoch wieder in ein anderes Licht und stellen dabei das lange tradierte Bild von einer strengen Trennung des steinzeitlichen Alltags in vermeintlich typisch männliche und weibliche Domänen in Frage. Renommierte Wissenschaftlerinnen wie Brigitte Röder von der Universität Basel weisen darauf hin, dass die damaligen Menschen aufgrund ihrer Ernährungsweise als Jäger und Sammler auf ein hohes Maß an Mobilität angewiesen waren, wobei aber eine hohe Anzahl an Kindern hinderlich gewesen wäre. Erst die Sesshaftwerdung und der damit einhergehende Ackerbau ermöglichten höhere Nachwuchszahlen und machten diese erstrebenswert. Dass die altsteinzeitlichen Sippen oftmals weite Wanderungen unternahmen, wird unter anderem daran deutlich, dass der Stein, aus dem die Venus von Willendorf gefertigt wurde, höchstwahrscheinlich aus der Umgebung des Gardasees stammt. Ein in Frage kommender Fußweg in die Wachau durch damals halbwegs lebensfreundliche Passagen entlang von Etsch, Inn und Donau wäre immerhin an die 730 Kilometer lang gewesen. Auch eine Umgehung der Alpen wäre denkbar. Bei solchen zahlreiche Jahre, wenn nicht Generationen dauernden Wanderungen mussten die Kleinsten mühsam getragen werden. Aus diesen Gründen war nicht Kinderreichtum an sich, sondern das Überleben einiger weniger Kinder für die damaligen Familien wichtig. Ein Kult um die weibliche Fruchtbarkeit erscheint somit als eher unwahrscheinlich und eher zu späteren geschichtlichen Phasen passend.

Was steckt nun aber wirklich hinter der heute im Naturhistorischen Museum in Wien aufbewahrten Frauenfigur und ihren Schwestern? Da leider nur wenige gesicherte Fakten zur Verfügung stehen, können keine endgültigen Aussagen getroffen werden, weshalb eine große Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten besteht, die auch immer von den gesellschaftlichen Ansichten ihrer Entstehungszeit beeinflusst sind. Daher scheint es wichtig, bestehende Deutungsmuster immer wieder zu hinterfragen. Die französische Wissenschaftshistorikerin Claudine Cohen bietet hierbei einen frischen Erklärungsansatz. Für diese stellen die Statuetten Abbilder von lebensklugen alten Frauen dar. Untersuchungen an den Skeletten steinzeitlicher Frauen ergaben, dass nicht wenige davon ein relativ hohes Alter erreicht und die Wechseljahre durchlaufen hatten. Vermutlich genossen diese (Groß-)Mütter, die aufgrund ihrer Erfahrung lebensnotwendiges Wissen innerhalb der Gruppe vermitteln konnten, hohen Respekt. Die kleinen Figuren wären dann als Ausdruck der Anerkennung zu verstehen. Andere Forscherinnen gehen von der Möglichkeit eines Selbstporträts aus, immerhin besteht keinerlei Grund zu der Annahme, nur Männer hätten sich bildhauerisch betätigt. Ein weiterer Interpretationsansatz zieht eine wesentlich handfestere Motivation der urgeschichtlichen Künstler bei der Wahl ihres Sujets in Betracht. Jene könnten angesichts häufiger Perioden des Hungers auch ganz einfach das Bild einer über die Maßen wohlgenährten Person allgemein als Wunschfigur im Kopf gehabt haben. Immerhin stellt für die mitunter als Buschleute bezeichneten Jäger und Sammler der San-Kultur in Afrika noch heute eine üppige Leibesfülle den Beweis von Jagdglück dar.

Neben Skulpturen wie der Venus von Willendorf existieren auch noch andere Funde, welche Rückschlüsse auf das Leben von Frauen in der Steinzeit zulassen. So zeigte die Analyse von erhaltenen weiblichen Oberarmknochen im Rahmen einer eigenen Studie, dass ihre vormaligen Besitzerinnen den Umgang mit Speeren gewohnt und also auch an der Jagd auf größeres Wild beteiligt waren. In Niedersachsen kam es zwischen 1994 und 1998 zu einer wissenschaftlichen Sensation: Am Rande der Stadt Schöningen förderte eine archäologische Ausgrabung mehrere 290.000 bis 337.000 Jahre alte Speere zutage. Diese konnten mit dem Homo heidelbergensis einem direkten Vorfahren des Neandertalers zugeordnet werden und gelten als die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen überhaupt. Einer der Speere misst nur 182 Zentimeter und ist somit um einiges kürzer als die anderen, was auf eine Nutzung in den Händen einer Frau hindeutet.

In den vor allem für ihre Tiermalereien berühmten Höhlen Südfrankreichs und Nordspaniens wie Lascaux oder Altamira finden sich weitaus eindeutigere Spuren. Dort hinterließen Cro-Magnon-Menschen, deren Anatomie bereits unserer heutigen gleich war, während der letzten eiszeitlichen Periode Handabdrücke an den Wänden. Hierfür wurden die Hände auf das Gestein gepresst und mit Farbstaub beblasen. Durch die Analyse des Größenverhältnisses zwischen den Fingern konnte das jeweilige Geschlecht der auf diese Weise künstlerisch tätigen Personen festgestellt werden, was eine ziemliche Überraschung zur Folge hatte. Es zeigte sich nämlich, dass an die drei Viertel der Abdrücke von weiblichen Händen stammten. Die bereits erwähnten Tierbilder sind sehr naturnah gehalten, was bedeutet, dass deren Schöpfer sich auf ihren Jagdzügen intensiv mit deren Beobachtung beschäftigt haben müssen. Der genaue Zweck der aufwendigen Höhlenmalereien ist nicht geklärt, vielleicht bestand er in der Durchführung magischer Rituale oder die Bilder dienten als eine Art steinzeitliches Kino. Fest steht jedoch, dass Frauen an der Verzierung der Höhlenwände aktiv mitwirkten und höchstwahrscheinlich eine gute Kenntnis vom Körperbau der dargestellten Tiere hatten, welche eben aus der direkten Erfahrung bei Streifzügen außerhalb des Lagers stammen müsste. Demnach waren auch weibliche Mitglieder von Cro-Magnon-Sippen auf der Jagd mit dabei.

Die moderne Genetik erlaubt einen noch viel weiteren Blick zurück in die Vergangenheit weiblicher Mobilität. Bei der Analyse von Strontium-Isotopen im Zahnschmelz von vor 2,7 bis 1,7 Millionen Jahren im Gebiet des heutigen Südafrika lebenden Vormenschen der Gattung Australopithecus stellte sich heraus, dass die weiblichen Mitglieder jener Gruppe von Hominiden wesentlich weiter herumzogen als ihre männlichen Artgenossen. Die Weibchen waren offensichtlich aus anderen Gegenden zugezogen, während die Männchen in der Nähe ihres Geburtsortes geblieben waren. Wie das eben genannte Beispiel illustriert, hat man es bei der Betrachtung der Steinzeit mit einer sehr langen Zeitspanne von mehreren Millionen Jahren zu tun, in der sich das Klima und somit die Lebensumstände mehrmals gravierend änderten. Erklärungsmuster Fred Feuerstein sind da zwar in ihrer Einfachheit ansprechend, haben aber leider wenig mit der tatsächlichen Vergangenheit zu tun.

In der Jungsteinzeit begann der Mensch, sesshaft zu werden und sich dem Ackerbau sowie der Viehzucht zu widmen. In dieser Phase der Menschheitsgeschichte, die auf dem Gebiet des sogenannten „Fruchtbaren Halbmonds“ in Vorderasien ihren Ausgang nahm und zwischen 5800 und 4000 vor Christus auch in Mitteleuropa losging, stieg die Bevölkerungszahl in Folge der verbesserten Nahrungsversorgung stark an und es bildeten sich erste arbeitsteilige Gesellschaften. Aus diesen Gründen existieren auch wesentlich mehr archäologische Funde aus jener Zeit, was uns über diese ersten Bauern und Viehzüchter zwar einiges mehr als über ihre nomadischen Vorgänger, aber leider bei weitem noch nicht alles wissen lässt. So ist über die gesellschaftliche Stellung der Frau in dieser Zeit wenig gesichertes Wissen vorhanden, weshalb es wieder einmal auf die weitere genaue Untersuchung und Interpretation von Grabungsfunden ankommt. Eine Untersuchung britischer Wissenschaftler zur Knochenstärke von weiblichen Überresten aus den ersten Jahrtausenden der menschlichen Sesshaftwerdung in Zentraleuropa zeigte, dass die damaligen Frauen schwere körperliche Arbeit verrichten mussten. Dies führte bei ihnen zu einem Ausmaß an Oberarmkraft, welches jenes von durchtrainierten Ruderinnen um mehr als zehn Prozent übertrifft. Als Vergleichswert wurden übrigens die Daten der Damenmannschaft der Universität Cambridge herangezogen, welche 2017 im traditionellen Rennen mit Oxford einen neuen Streckenrekord aufstellte. Die Forscher gehen davon aus, dass die neolithischen Damen ihre Muskeln durch alltägliche Aufgaben wie Pflügen, Melken oder das Mahlen von Korn stählten. Die durchschnittliche Beinmuskulatur der Frauen war nicht so stark ausgeprägt, wohingegen die Männer die Konstitution von heutigen Geländeläufern hatten. Der Vergleich zwischen weiblichen und männlichen Knochen ist jedoch schwierig, da der Körper von letzteren stärker auf Belastungen reagiert.

Nicht nur die erhaltenen Skelette, sondern auch die jungsteinzeitlichen Grabbeigaben liefern Hinweise auf den Alltag vor Tausenden von Jahren. Im baden-württembergischen Stetten an der Donau wurden die Ruhestätten von zwei zwischen 2700 und 2200 vor Christus bestatteten Personen entdeckt. Bei der einen handelte es sich um einen 35 bis 40 Jahre alten Mann, bei dem drei Pfeilspitzen aus Feuerstein und eine aus Knochen gefertigte und mit Ornamenten versehene Nadel gefunden wurden. Das andere Skelett stammte von einer an die 30 Jahre alten Frau, in deren Armen man bei genauerem Hinsehen die Überreste eines Säuglings fand. Als Beigaben befanden sich im Grab der Frau unter anderem ein zerbrochener Schleifstein und zwei geschärfte Knochenspitzen. Charakteristische Abnutzungsspuren an den beiden Erwachsenenskeletten deuten neben den ihnen mitgegebenen Gegenständen darauf hin, dass der Mann zu Lebzeiten als Schneider und die Frau als Werkzeugmacherin tätig war. Sowohl die Verteilung der Tätigkeitsfelder im Speziellen als auch die Arbeitsteilung im Allgemeinen passen nicht in das landläufige Klischee von der gänzlich primitiven Steinzeit. Kurz vor Abschluss ist speziell im jagdlichen Kontext noch ein Fund aus Südamerika von 2018 interessant. Auf peruanischem Staatsgebiet wurde in 4.000 Metern Höhe das 9.000 Jahre alte Grab einer jungen Frau entdeckt, welche Wurfgeschosse und Werkzeug zur Verarbeitung von Tierkörpern bei sich hatte. Im Anschluss an die Ausgrabung verglichen die verantwortlichen Forscher Funde aus insgesamt 107 urzeitlichen Grabstätten auf beiden amerikanischen Teilkontinenten und machten bei 27 der dort beerdigten Personen Gerätschaften zur Jagd auf größeres Wild ausfindig.  

Die Steinzeit stellt eine ebenso rätselhafte wie faszinierende Epoche der Menschheitsgeschichte dar und angesichts der relativ wenigen wirklich gesicherten Erkenntnisse zu ihr wundert es nicht, dass die Diskussionen und Kontroversen um das Leben unserer frühen Vorfahren nicht abreißen. Wie gerade zu sehen war, neigt man angesichts der weiten geschichtlichen Entfernung manchmal dazu, sich ein vorschnelles oder zu simples Bild von der Vergangenheit zu machen, wovor manchmal auch Wissenschaftler nicht gefeit sind. Wie die neuen Erkenntnisse zur Steinzeit aber zeigen, lernt man nie aus. Auch bei sehr alten Geschichten nicht.

 

Othmar F. C. Hofer

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