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Der Gran Paradiso – das große Paradies – ist in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderer Berg. 
Mit 4.061 Metern Höhe stellt er das höchste Massiv dar, dessen Basis ganz auf italienischem Boden liegt. Durch seine spezielle, markant vom Alpenhauptkamm hervorspringende Lage bietet sich dem Bergsteiger ein unvergleichliches Panorama, welches bis zum Matterhorn und Monte Rosa reicht. Daneben ist dieser Berg zwischen dem Aostatal und dem Piemont auch für uns Weidleute ausgesprochen interessant: An seinen steilen Hängen konnten einst die letzten Steinböcke der völligen Ausrottung entgehen, was den Grundstein für eines der erfolgreichsten Wiederansiedlungsprojekte aller Zeiten bildete. Welche Rolle dabei Könige, Wilderer und jede Menge gestohlener Kitze spielten, erfahrt ihr hier.
Das Kreuz mit dem Herz 

Am Ende der letzten Eiszeit vor mehr als 11.000 Jahren war der Steinbock noch im ganzen Alpenraum und sogar in den Bergen Griechenlands verbreitet. Die an das Leben in Hochgebirgslagen angepassten Vertreter der Gattung der Ziegen gehörten zu den regionalen Hauptbeutetierarten unserer steinzeitlichen Vorfahren. Das Jagdgeschick seiner neolithischen Bewohner dürfte auch für das Verschwinden der Art aus Hellas ca. 5500 v. Chr. verantwortlich sein. In den Alpen konnte sich das Steinwild wesentlich länger halten, obwohl es weiterhin gerne vom Menschen verspeist wurde, wie der Mageninhalt Ötzis beweist. Den zentraleuropäischen Beständen ging es aber erst Jahrtausende später richtig an den Kragen, als in der Frühen Neuzeit gutes Geld mit der Steinbockjagd verdient werden konnte. Allen voran waren Bezoarkugeln aus dem Magen und das sogenannte „Herzkreuz“, eine kreuzförmige Verknöcherung in der Scheidewand der Vorkammer, als Talismane und Heilmittel begehrt, wobei sich auch andere Körperteile und anscheinend selbst Losung an die Apotheker verkaufen ließen. 
Anfang des 17. Jahrhunderts dürften Steinböcke in Mitteleuropa schon zu einem sehr seltenen Anblick geworden sein, was etwa daran erkennbar wird, dass Fürsterzbischof Markus Sittikus von Hohenems 1617 extra ein Gemälde von einem Exemplar in seinem Besitz in Auftrag gab. Die Investition zahlte sich für den Salzburger Landesfürsten auf jeden Fall aus, denn der Bock vermochte seinem neuen Lebensraum im barocken Schlossgarten wohl nicht viel abzugewinnen und verendete bald. Schuld soll die ungewohnte Hitze gewesen sein, wie es hieß. Den Artgenossen in freier Natur erging es aufgrund des hohen Jagddrucks nicht besser, weshalb der Alpensteinbock Anfang des 19. Jahrhunderts beinahe als ausgerottet gelten konnte. Nur am Gran Paradiso im Aostatal im äußersten Nordwesten des heutigen italienischen Staates vermochte sich eine kleine Population von ungefähr hundert Tieren zu halten. 1820 wurden diese letzten Überlebenden ihrer Art auf private Initiative hin unter behördlichen Schutz gestellt, der richtige Umschwung kam jedoch mit dem Interesse des Königshauses von Sardinien-Piemont an den Ziegenartigen aus dem Hochgebirge.
Artenschutz auf dem Königsweg 

Immerhin leitet sich der Name „Piemont“ für diese Region Italiens an der Grenze zu Frankreich von der lateinischen Phrase „ad pedem montium“ ab, was so viel wie „am Fuße der Berge“ bedeutet, weshalb es nicht abwegig erscheint, dass sich König Vittorio Emanuelle II. auch mit den abgelegenen Gebirgsteilen seines Landes beschäftigte. Zumindest die Steinböcke dürften ihn als sehr seltene Jagdbeute stark interessiert haben, da er extra eine Anzahl von Wildhütern zu deren Schutz anheuerte. Dabei wurden wohl einige Böcke zu Gärtnern gemacht, da sich auch ehemalige Wilderer unter den neuen Revierwächtern befunden haben sollen. Ein durchaus schlauer Zug, wenn man bedenkt, dass die einstigen schwarzen Schafe aufgrund ihrer Erfahrungen genau gewusst haben müssen, wie man illegalen Jägern das Handwerk legt. 
Ab 1856 war der Gran Paradiso also persönliches Revier Viktor Emmanuels, welcher von der begeisternden Möglichkeit fürs Weidwerk im Hochgebirge fleißig Gebrauch machte, wofür er auch Saumpfade und Unterkünfte bauen ließ. Ganz so oft kann der Monarch seinen Steinböcken dann wohl aber doch nicht nachgestellt haben, da es ja immerhin noch Regierungs- und Repräsentationspflichten wahrzunehmen galt. Und die Arbeit wurde definitiv nicht weniger. Nach zahlreichen bewaffneten Konflikten um die Zukunft der unterschiedlichen Kleinstaaten und Provinzen der stiefelförmigen Halbinsel wurde das sardisch-piemontesische Oberhaupt aus dem Haus Savoyen 1861 schließlich zum König von ganz Italien erklärt. Unter diesen Umständen kam dem Gran Paradiso mit seinem in Mitteleuropa einzigartigen Steinbockbestand dann allmählich auch eine identifikatorische Bedeutung als Naturjuwel des geeinten italienischen Nationalstaats zu. 
Gerade die jagdliche Nutzung des Gebiets durch die Königsfamilie stellte sich als Glücksfall für die Arterhaltung heraus, da sich die Steinbockbestände dank der damit verbundenen royalen Schutzmaßnahmen bis zum Ende des Jahrhunderts wohl auf gut dreitausend Stück vermehrten.
Findige Schweizer 

Viktor Emmanuel hatte die günstige Entwicklung der Bestandszahlen durch die von ihm angeordneten Maßnahmen entscheidend befördert, wobei seine Jagdleidenschaft den ausschlaggebenden Beweggrund bildete. Diese Passion fürs Weidwerk sollte ihn dann auch im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Grab begleiten, da sich der Nimrod bei einem winterlichen Nachtansitz derart verkühlte, dass er 1878 unter Schüttelfrost das Zeitliche segnete. Die Begeisterung für den Gran Paradiso vererbte sich jedoch in der Dynastie weiter. Der Enkel des Reviergründers, Viktor Emmanuel III., wachte sogar so eifersüchtig über den tierischen Familienschatz, dass er nicht im Traum daran dachte, mehrere Gesuche um eine Überführung etlicher Exemplare in die Schweiz zwecks Wiederansiedlung auch nur beantworten zu lassen. Auch in den helvetischen Bergen war nämlich die lukrative Steinwildjagd allen Verboten zum Trotz bis zur Ausrottung betrieben worden. Naturfreunde wie Lokalpatrioten wünschten sich aber gleichermaßen die Rückkehr des Steinbocks, welcher nicht umsonst bis in unsere Tage das Wappen des Kantons Graubünden ziert. Hartnäckige Eidgenossen ließen sich in ihrem Eifer von der kalten Schulter des italienischen Königs nicht aufhalten und griffen schließlich zu drastischen Methoden. Ein Hotelier aus St. Gallen engagierte kurzerhand einen Wilderer aus dem Aostatal, welcher ihm 1906 die ersten zwei Kitze vom Gran Paradiso ins Land schmuggelte. 
Diese etwas andere Form des Wilddiebstahls war von da an so erfolgreich, dass bis 1933 ganze 59 Kitze beschafft werden konnten. Die kleinen Böcke und Geißen wurden im St. Gallener Wildpark Peter und Paul mit Fläschchen und Bergheu aufgezogen. Ganz entgegen dem alten Sprichwort „Unrecht Gut gedeihet nicht“ wuchs das illegal ins Land geholte Steinwild schnell heran und vermehrte sich derart, dass bald Aussetzungen ins Auge gefasst wurden. Nachdem 1809 der vorläufig letzte Steinbock der Schweiz im Wallis erlegt worden war, konnte die Tierart schließlich gut einhundert Jahre später wieder in den eidgenössischen Bergen Fuß fassen. Unter anderem diesem Zweck diente auch der 1914 gegründete schweizerische Nationalpark im Engadin, welcher immerhin der erste seiner Art in den Alpen war. Die unfreiwilligen Steinbockspender in Italien zogen dann 1922 mit einem eigenen Nationalpark am Gran Paradiso nach. 

Eine Rückkehr trotz Schwierigkeiten 

Der Alpensteinbock zählt heute laut der Weltnaturschutzorganisation IUCN nicht mehr zu den bedrohten Arten, da sich dessen Gesamtpopulation bei der letzten Erhebung auf insgesamt ca. 53.000 erwachsene Tiere belief. Ebenso festgehalten wurden bei der 2020 durchgeführten Erhebung 180 verschiedene Besiedlungsorte. In Frankreich, Deutschland, Österreich und der Schweiz konnten die Ziegenartigen nach zeitweiliger Ausrottung wieder angesiedelt werden, wobei mittlerweile auch Bestände in Slowenien und Bulgarien gänzlich neu etabliert wurden. Dies alles war jedoch nur möglich, da sich die Art in dem Gebiet rund um den Gran Paradiso in einem letzten Refugium halten konnte. Dieser Restbestand umfasste jedoch eben weniger als hundert Stücke, was verdeutlicht, wie knapp es für die Art aufgrund der rücksichtlosen Übernutzung schon geworden war. Da alle heutigen Populationen von diesen wenigen Individuen abstammen, ist das Erbgut insgesamt wenig vielfältig, was in Kombination mit den relativ isolierten Siedlungsgebieten zum gefürchteten genetischen Flaschenhalsphänomen führen kann. 
Gemeinsam mit den steigenden Temperaturen stellt das Inzuchtproblem eine wesentliche Herausforderung für die Art dar, welche mancherorts noch durch Beunruhigung und Stress in Folge gesteigerter Freizeitaktivitäten im Hochgebirge verschärft wird. Allen negativen Einflüssen zum Trotz hat das Steinwild nicht nur die Alpen allgemein, sondern ganz besonders den Gran Paradiso für sich fest zurückerobert. Auf den mehr als 70.000 Hektar des dortigen Nationalparks können sich die Böcke, Geißen und Kitze nahezu ungestört bewegen, wobei sie auch jenseits der französischen Grenze im Vanoise in einem nationalen Schutzgebiet unterwegs sind.
Rätselhafte Übersterblichkeit 

Hüben wie drüben gilt ein komplettes Jagdverbot. Was sich auf den ersten Blick vielleicht wie ein Segen für die Steinböcke anhören mag, erweist sich bei genauerem Hinsehen als zweischneidiges Schwert. 2010 ging ein Aufschrei durch die Öffentlichkeit als der Corriere della Sera, die auflagenstärkste italienische Tageszeitung, von einem großen Steinbocksterben berichtete, welches seit Anfang der 90er-Jahre zu einem Einbruch der Bestandszahlen um die Hälfte geführt habe. Vor dieser Entwicklung hatte die Population anscheinend noch mit ungefähr 5.000 Exemplaren ihren Höchststand erreicht. 
Verantwortlich für den Einbruch war die niedrige Überlebensrate der Jungtiere, von denen drei Viertel das erste Jahr nicht überstanden. Über den Grund für die erhöhte Sterblichkeit bei Kitzen wurde von verschiedenen Seiten intensiv spekuliert, wobei die Bandbreite an vermeintlichen Ursachen von schlechterer Äsung aufgrund höherer Temperaturen bis hin zu Schadstoffen aus Flugzeugabgasen reichte. Der für den Nationalpark zuständige Tierarzt sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem Rätsel. In der Kontroverse, die sich nach 15 Jahren wohl nicht mehr in allen Details nachvollziehen lässt, scheint den wildbiologischen Erkenntnissen des Weidwerks kaum Platz eingeräumt worden zu sein. Wie etwa der Sachbuchautor Dr. Marco Giacometti treffend bemerkte, kommt es bei einem steten Anwachsen der Bestandszahlen ohne Regulierung durch Jagd früher oder später zu einer Überweidung der natürlichen Äsungsflächen, welche wiederum durch das reduzierte Nahrungsangebot zu einer Schwächung der Muttertiere und weniger Milch für die Kitze führt. Die hohe Sterblichkeitsrate der Jungtiere stellt in diesem Kontext bloß einen natürlichen Ausgleichsmechanismus dar, der bei einem Verzicht auf Jagd dazugehört. 

Die Geschichte der Steinböcke gleicht einem Lehrstück über den verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen und veranschaulicht gleichzeitig das negative wie positive Potenzial der Jagd. Durch ungehemmten Raubbau wurde das Steinwild an den Rand des Aussterbens gedrängt und vermochte sich nur mehr in den unzugänglichen Abschnitten des Gran Paradiso in einem extrem kleinen Bestand zu halten. Es war jedoch gerade die Jagdleidenschaft König Viktor Emmanuels und seiner Nachfolger, die dem Steinbock seine letzte Zuflucht bewahrte. Von dieser Keimzelle ausgehend konnte der Steinbock dann schließlich über hartnäckige Bemühungen in vielen Gegenden wiederangesiedelt werden, wo er sich nicht zuletzt durch umsichtiges weidmännisches Vorgehen auch in einer herausfordernden Zukunft halten kann.