Früh übt sich …
Als Giacomo Puccini am 22. Dezember 1858 im toskanischen Lucca zur Welt kam, war ihm eine musikalische Karriere schon in die sprichwörtliche Wiege gelegt. Anfang des 18. Jahrhunderts verließ ein gleichnamiger Vorfahr Celle, den bergigen Ursprungsort der Familie, um im nahegelegenen Lucca schlussendlich Leiter des Stadtorchesters und Domorganist zu werden. Jener Giacomo begründete damit eine Familientradition, welche diese beiden Stellen für sage und schreibe 125 Jahre lang durchgehend in den Händen der Puccinis halten sollte. Somit ist der spätere weltberühmte Komponist in geordnete, gutbürgerliche Verhältnisse geboren, welche unter anderem durch den für das Kind viel zu frühen Tod des Vaters zwar keine großen Sprünge zuließen, aber dennoch einer ordentlichen musischen Ausbildung des Sprösslings nicht im Wege standen.
Viele Anekdoten sind schon über die Jugend und das weitere Leben des berühmtesten Sohnes der norditalienischen Stadt erzählt worden, von denen Puccini selbst die meisten als bloße Erfindungen abtat. Gesichert ist jedoch, dass sich der spätere große Meister der Tonkunst zunächst in einer Tanzkapelle verdingte und einem Schneiderssohn Musikunterricht erteilte. Schon als Jugendlicher zeigte er aber deutliche Anlagen zum Lebemann: Wie er selbst später einmal einem befreundeten Pfarrer gestehen sollte, sackte der junge Giacomo den Lohn für sein Orgelspiel in einer lokalen Kirche lieber heimlich selber ein, anstatt ihn seiner Mutter Albina als Beitrag für die alltäglichen Ausgaben zukommen zu lassen. Ein andermal hatte er sogar heimlich einige Orgelpfeifen aus der Kirche mitgehen lassen, um sie bei einem Altmetallhändler zu versetzen. Für die weiterführende Ausbildung am Mailänder Konservatorium waren jedoch deutlich mehr Lire vonnöten, als sich mit etwas altem Blech verdienen lassen. Das ersehnte Studium in der teuren Metropole wurde 1880 durch die Zuwendungen eines spendablen Onkels und ein von der italienischen Königin Margherita höchstselbst gewährtes Stipendium möglich. Der nach strengen traditionellen Gesichtspunkten ausgerichtete Unterricht scheint Puccini aber keine große Freude bereitet zu haben, wie Randeinträge in seinen Notizbüchern aus dieser Zeit vermuten lassen.
Wenn er sich nicht gerade am Konservatorium mit der veralteten Schulungspraxis oder eigenständigen Klavierübungen zu Hause abmühte, fand der Studiosus auch Zeit für die einfachen Genüsse des Lebens, wie etwa eine abendliche Zigarre, einen halben Liter Wein zur Minestrone oder Ausflüge mit der dampfbetriebenen Straßenbahn. Obwohl der junge Mann es nicht immer ganz genau mit dem Kursbesuch nahm und dafür sogar vom akademischen Rat verwarnt wurde, schickte die liebe Mutter nicht nur das sehnsüchtig begehrte heimatliche Olivenöl, sondern auch noch das Geld für einen Stehplatz im Theater. Dabei wird er wohl die feinen Hosen angehabt haben, die er sich gleich nach seinem Umzug nach Mailand für fast ein Drittel seiner monatlichen Barschaft bestellt hatte.
Arbeit macht das Leben süß
Nach seinem Studium fühlte Puccini sich ganz zum Komponisten berufen und verdiente sein Geld nie wieder durch direktes Musizieren oder Unterrichten. So lehnte er 1893 beispielsweise auch die ihm angetragene Professur am Mailänder Konservatorium ab. Infolge seiner anscheinend eher gering ausgeprägten praktischen Fähigkeiten am Klavier soll der Maestro es zeitlebens nach Möglichkeit sogar vermieden haben, seinen Anhängern größere Kostproben vorzuspielen. Beim Komponieren selbst hingegen drückte sich Puccini vor keinen Mühen, wie die langen Schaffensphasen für einzelne Werke beweisen. Er ließ sich Zeit, erstellte viele Änderungen und überarbeitete Partituren selbst noch nach deren Erstaufführung. Daneben wurden auch zahlreiche Projekte wieder von ihm verworfen, selbst wenn sie schon recht weit gediehen waren. All dies trug zum schmalen Umfang seines Lebenswerks bei, dessen Stücke sich in einer Gesamtzeit von unter 20 Stunden aufführen lassen. Zum Vergleich kann Wagner herangezogen werden, der nach einer etwa gleich langen Schaffenszeit ein musikalisches Œuvre von mehr als doppelter Länge und dazu noch zahlreiche theoretische Schriften hinterließ. Zusätzlich sind die Werke des Italieners kompositorisch wesentlich einfacher aufgebaut als etwa die komplizierten Klangstrukturen des Leipzigers. Ebenjene Einfachheit, wie sie uns heute etwa in Filmmusiken begegnet, brachte Puccini längere Zeit recht wenig Anerkennung aus Fachkreisen ein. Seine Kunst des simplen, doch treffenden Ausdrucks fand jedoch beim Publikum großen Anklang und brachte ihm nach einigen Anfangsschwierigkeiten stattlichen kommerziellen Erfolg.
Durch Kompositionsaufträge, Aufführungstantiemen sowie Notenverkauf erwarb sich der Vollblutkomponist ein Vermögen, das ihm und seiner Familie nicht allein ein standesgemäßes Leben, sondern auch einiges an Luxus ermöglichte. In den ersten sechs Monaten des Jahres 1900 nahm Puccini beispielsweise nicht weniger als 27.000 Lire ein, was zu dieser Zeit in etwa dem achtzigfachen Einkommen eines durchschnittlichen italienischen Arbeiters entsprach. Vermutlich mit den Jugenderfahrungen als klammer Halbwaise im Hinterkopf achtete Puccini zeitlebens genau auf seine Ausgaben, wobei er mitunter auch die Grenze zum Skurrilen und Knausrigen überschritt. Dass der reiche Komponist Bargeld vor seiner Frau versteckte, lässt sich vielleicht noch zu den Eigenheiten einer – vorsichtig formuliert – stürmischen Ehe rechnen. Andere Anekdoten zeugen von regelrechtem Geiz. Nach Aussagen eines Angestellten bekam dieser einmal im Februar von Puccini zwei Lire weniger Gehalt als sonst ausgezahlt. Die Begründung hierfür war genial-einfach: Da der zweite Monat des Jahres ja lediglich 28 Tage habe, sei eben weniger Lohn fällig. Ein andermal machte der Maestro einem befreundeten Architekten große Vorhaltungen, als dieser ihm die Reisespesen für seine zahlreichen Besuche verrechnete, die durch die wechselnden Wünsche des Bauherrn nötig geworden waren.
Dolce Vita in der Toskana
Bei aller Sparsamkeit wusste Puccini sehr genau, wie man es sich gutgehen ließ – auf mannigfaltige Weise. Der mitten im 19. Jahrhundert Geborene begeisterte sich für moderne Technologie und Schnelligkeit, weshalb er sich einige der schnittigsten fahrbaren Untersätze seiner Zeit kaufte. Für seinen Lancia Trikappa ließ Puccini 1922 ganze 90.000 Lire springen, nur um sich zwei Jahre darauf den Lancia Lambda zu holen, der als erstes Auto über eine selbsttragende Karosserie verfügte und es auf wilde 115 km/h brachte. Nicht nur zu Lande, sondern auch am Wasser gab Puccini gerne Gas: Die Yacht „Cio-Cio-San“, welche der Tonkünstler nach der Protagonistin seiner tragischen Oper Madama Butterfly benannte, hatte Platz für 20 Passagiere, einen Motor mit 100 PS, 16 Knoten Höchstgeschwindigkeit und verfügte selbstredend über ein eigenes Klavier an Bord. Ob Puccini viel auf dem extra umgebauten Instrument spielte, ist fraglich, doch findet sich in seinem Werk ohne Zweifel maritimer Einfluss. Der flinke Marsch Avanti Urania von 1896 ist nach dem Dampfboot eines Marchese aus der florentinischen Familie Ginori benannt. Ebenjenem Markgrafen hatte der Komponist im Jahr davor übrigens auch die Widmung von La Bohème angetragen, was nicht nur mit dessen Verbindungen innerhalb der feinen Gesellschaft zu tun hatte.
Die reichen Jagdreviere des Adligen und seiner Freunde dürften ebenso eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, denn immerhin zählte das Weidwerk zu den liebsten Freizeitvergnügungen Puccinis. Sehr entgegen kam ihm da wohl auch, dass sich die Villa des lieben Marchese Ginori gleich auf der anderen Seite des Massaciùccoli-Sees gegenüber der eigenen Residenz des Musikers in Torre del Lago befand. In diesem idyllischen Ortsteil Viareggios unweit seiner Geburtsstadt Lucca sollte Puccini dann eben nicht nur einen erheblichen Teil seiner Werke komponieren, sondern nebenbei – oder böse gesagt: stattdessen – munter auf Entenjagd gehen. Um ungestört seiner heftigen Jagdleidenschaft frönen zu können, zögerte der Tonkünstler nicht, kurzerhand einen Freund an seiner statt zum Klimpern ans Klavier zu setzen, was aber noch zu den harmloseren Täuschungsmanövern gegenüber der in mehrerlei Hinsicht (zu Recht) argwöhnischen Ehefrau Elvira darstellt. Eindeutig übertrieben hatte es der Schrecken aller toskanischen Enten, als er bei einem seiner Ausflüge mit der Flinte erwischt und postwendend unter dem Verdacht der Wilderei festgenommen wurde. Was dramatisch begann, wandelte sich spätestens im zweiten Akt der Vorstellung zu einer Art Gerichtsposse mit anschließender Freisprechung des Angeklagten. Den Umtriebigen zog es jedoch nicht nur zum Wasser, sondern auch zum Wein, weshalb er gemeinsam mit Freunden in Torre del Lago den „Club La Bohème“ ins Leben rief.
Eine rustikale Schilfhütte gleich ums Eck wurde zum festen Lokal des Vereins, in dem man es sich laut Statuten gutgehen ließ und dazu noch besser aß. Das lustige Treiben am Seeufer dürfte auch zu dem Ruhestörungsprozess gegen den leidenschaftlichen Lebemann geführt haben und trug wohl auch zu dessen späterer Diabeteserkrankung einiges bei. Es stellt sich hier die Frage, ob eher die Schießfreudigkeit oder die gute Figur des Komponisten zu seinem angeblichen Spitznamen „uomo palla“ („Kugelmann“) führte. Wie dem auch sei, zur Entstehungszeit seiner Bohème-Oper war Puccini jedenfalls noch fit genug für (Jagd-)Ausflüge in der örtlichen Maremma, wie das sumpfige Küstenland im Süden der Toskana genannt wird.
Internationale Abstecher
Puccini blieb seiner Heimat zeitlebens eng verbunden, was ihn jedoch nicht davon abhielt, gelegentlich den Rest der Welt unsicher zu machen. Die Einladung zu einem wahren Puccini-Fest in Buenos Aires samt Übernahme der Reisekosten und freier Logis nahm der zu diesem Zeitpunkt weltberühmte Komponist zum Anlass für eine Südamerikareise. Dabei lukrierte das Musikidol ein saftiges Nebeneinkommen, indem es seinen Namen ungeniert für Werbekampagnen für Likör, Seife oder Mineralwasser zur Verfügung stellte. Selbstredend wurde der Maestro auch zu einer ausgedehnten Jagd eingeladen, bei der er aber seine argentinischen Gastgeber durch seine schlechten Schießkünste verwunderte.
Dafür scheint Puccini bei diversen anderweitigen Ausflügen immer wieder sehr erfolgreich gewesen zu sein. Elvira Bonturi war ihrem eigentlichen Ehemann schließlich nach allen Regeln der Kunst davongelaufen, um mit dem Komponisten eine Beziehung einzugehen, die erst nach dem Tod ihres offiziellen Gatten Jahrzehnte später durch eine Heirat gesellschaftlich legitimiert wurde. Puccini freilich ließ sich als waschechter Bohemien von solchen Kleinigkeiten nicht beirren und unterhielt im Laufe der Jahre zahlreiche Affären im In- und Ausland. In Bayern lernte er beispielsweise die einer angesehenen Offiziersfamilie entstammende und ebenfalls verheiratete Josephine von Stengel kennen. Mit der gleichermaßen schönen wie kunstsinnigen (damals 26 Jahre jungen) Dame besuchte Puccini 1912 sogar die Bayreuther Festspiele, wo es beinahe brenzlig wurde für den inkognito reisenden Don Juan. Ein Landsmann aus dem Umkreis Winifred Wagners erkannte ihn nämlich und erzählte der Grande Dame davon, welche den Maestro zu sich in die Loge laden ließ. Das Treffen mit der prominenten Wagner-Witwe hätte natürlich die zur Tarnung inszenierte Scharade Puccinis auffliegen lassen und ihm ordentlich Ärger vonseiten der eifersüchtigen Elvira beschert. Zu seinem Glück konnte er dem anderen Herrn aus Italien sein kleines Problem begreiflich machen, woraufhin sich der Fan verständnisvoll zeigte und Winifred berichtete, dass er sich leider geirrt habe. Welche Bedeutung Puccini solchen Seitensprüngen beigemessen hat, lässt sich anhand eines Wortspiels erahnen, dass sich der immerhin schon in den Vierzigern steckende Schelm beim Eintrag in das Gästebuch seines Bayreuther Hotels einfallen ließ. Seiner „Gattin“ verpasste er da nämlich den Namen „Agloria Giovani“, was sich fast wie „Al gloria giovane“ anhört, zu Deutsch: „Zum Ruhm der Jugend“. Die außereheliche Liaison erschien dem Jäger von Tönen, Enten und Schürzen also im wahrsten Sinne des Wortes als Verjüngungsbehandlung – das verleiht dem Wort „Kurschatten“ wirklich eine neue Bedeutung.
Allen Versuchen, dem Alter Einhalt zu gebieten, zum Trotz stand selbst für den großen Meister der einfachen Töne die Zeit nicht still. Als der leidenschaftliche Zigarettenraucher 1924 immer stärkere chronische Halsschmerzen bekam, wusste er trotz der widersprüchlichen Befunde und beschönigenden Aussagen der Ärzte vielleicht schon insgeheim, dass der Fall des Vorhangs nahte. Puccini gab dennoch nicht auf und ging am Tag nach der Diagnose noch ein letztes Mal auf die Jagd. Er arbeitete bis zuletzt weiter an seiner Turandot, welche jedoch keinen Abschluss durch ihn finden sollte. Der Versuch, seinen Kehlkopfkrebs an einer Brüsseler Spezialklinik zu kurieren, schlug fehl und so schied Puccini am 29. November 1924 aus dem Leben. Ein Leben für und durch die Jagd – in mehrerlei Hinsicht. Ein Leben mit einigen Fehltritten zwar, doch mit Sicherheit ein voll ausgekostetes.
Zitate:
- „O weh!!! Au!!! O Gott!!! Um Gottes willen Hilfe!!! Es ist genug!!! Zu viel!!! Ich sterbe!!! Jetzt geht es ein bisschen besser!“ – Giacomo Puccini in den Notizen seiner Studentenzeit
- „Ich habe Lust zu lachen und Lachen zu machen.“ – Giacomo Puccini
- „Ich habe solche Angst und solches Entsetzen vor dem Altern!“ – Giacomo Puccini
Die Maremma
Das Gebiet an der Grenze zur Region Latium stellt eine Ausnahme zum ansonsten meist stark kultivierten Landschaftscharakter der Toskana dar. Die Maremma blieb in den letzten Jahrhunderten nur dünn besiedelt und wurde hauptsächlich zur Viehzucht genutzt. Nicht ohne Grund entstand dort eine eigene Rinderrasse, welche sich durch besonders lange Hörner und ihr aufgrund der speziellen Weidehaltung als Delikatesse geltendes Fleisch auszeichnet. Einer Pferde- sowie einer Hirtenhunderasse hat die wilde Küstenlandschaft ebenso ihren Namen gegeben. Sehr geschult im Umgang mit allen drei Tierarten ist der Buttero, welcher die italienische Variante des Cowboy-Typus darstellt. In einem Wettstreit mit den Reitern von Buffalo Bills Wild-West-Zirkus sollen die Butteri einst sogar den Sieg davongetragen haben.