Sehr geehrter Herr DI Weiß, haben Sie vielen Dank dafür, dass Sie sich Zeit für uns nehmen! Würden Sie uns bitte zunächst Ihr Revier beschreiben?
Wir sind in einem sehr intensiv genützten landwirtschaftlichen Gebiet. Das heißt, jedes einzelne Feld wird aus Brunnen heraus elektrisch bewässert – viel intensiver geht es nicht mehr. Wir haben dort Zwiebeln, Karotten, Kraut und ein bisserl Getreide dazwischen, ca. die Hälfte wird biologisch bewirtschaftet. Für das Niederwild ist es jedoch genauso schlimm, ob jetzt der zwanzig Meter breite Striegl (leichte Egge zur Unkrautbekämpfung; Anm. d. Red.) durchfährt oder Herbizide eingesetzt werden, denn beides sorgt dafür, dass außer den Kulturpflanzen kein Unterwuchs mehr da ist. Zusätzlich befinden wir uns in direkter Nähe zur Greifvogelstation Harringsee. Es ist zwar offiziell nicht erlaubt, Greifvögel auszusetzten, aber wenn man dann acht Uhus bei Tag auf einem Baum sitzen sieht, glaubt man nicht mehr so ganz an Zufall. Zusätzlich haben wir im Revier auch sehr viel Bird watching, da die Großtrappe dort noch vorhanden ist. Wir sind Versuchsrevier für Niederwild des niederösterreichischen Landesjagdverbandes. Bei uns sollen zwei Dinge ausprobiert werden: 1. Was können Biotopverbesserungsmaßnahmen wirklich bringen? Und 2. Wie kann extremer Freizeitdruck mit der Niederwildjagd einhergehen? Durch die Lage so nah an Wien ist die Forschungstätigkeit auch relativ einfach, da man kurze Wege hat.
Was konnten Sie denn in Sachen Biotopverbesserung herausfinden?
Wir wissen, dass unsere Hasen nach wie vor sehr fertil sind. Das heißt, im Durchschnitt werden zwölf Junghasen pro Häsin im Jahr gesetzt. Die Schwankungsbreite liegt zwischen 0 und 18. An der Geburtenzahl scheitern wir also nicht, aber an der Überlebensrate. Ob das jetzt der Striegl, die Straße, ein Greifvogel oder ein Fuchs ist – wir verlieren einfach zu viele Jungtiere, als dass wir im Herbst wirklich ordentlich bejag bare Bestände haben könnten. Wir haben uns auch angeschaut, welche Biotope die Hasen gerne annehmen. Hierzu haben wir erwachsene Tiere gefangen und besendert. Theoretisch hätten die Hasen 3.000 Hektar zur Verfügung, doch praktisch nutzen sie nur ganz geringe Räume. Wie sich herausstellte, waren das Biotopflächen, die wir selbst angelegt hatten. Dabei handelt es sich um Bioäcker mit Untersaaten und ergo entsprechender pflanzlicher Vielfalt. Windschutzgürtel, Bachläufe und Gräben waren auch dabei. Konventionell intensiv genutzte und mittels Pestiziden sowie Herbiziden behandelte Böden waren kaum dabei. Wir zogen also den Schluss, dass wir solche von den Hasen bevorzugte Flächen verstärkt anlegen müssen.
Es zeigte sich darüber hinaus: Flächen über drei Hektar sind uninteressant. Auch wenn etwa 30 Hektar zur Verfügung stehen, konzentriert sich das Niederwild auf jene drei der Randzonen. Dann haben wir noch mittels Wärmebildtechnologie beobachtet, wo die Häsinnen bevorzugt setzen. Zum Beispiel sind Streifen mit Miscanthus irrsinnig beliebt. Miscanthus bietet nämlich guten Sichtschutz vor Greifvögeln, welche gleichzeitig dort auch nicht aufblocken können. Wir haben ja viele Arten wie Kaiseradler, Rohrweihe oder Bussard als Brutvögel da. Der Uhu ist überhaupt ganz massiv vertreten. Die erwähnten Miscanthus Streifen brauchen nur einen Meter Breite und können dadurch im Biotopverbundsystem angelegt werden. Den einen Meter bekomme ich von den Bauern zugestanden. Das hilft uns wirklich sehr, da so ein optimaler Schutz für Rebhühner und Junghasen entsteht. Eine Bejagung von Beutegreifern aus der Luft wie noch vor ein paar Jahrzehnten ist mittlerweile ein absolutes No-Go. Wir schaffen es aber auch unter diesen gesellschaftlichen Umständen, genügend Junghasen und Rebhuhn Ketten durchzubringen. Wenn wir das nicht schaffen würden, müsste man das halt auch so zur Kenntnis nehmen.
Es gibt aber auch Lichtblicke, oder?
In ca. 30 Kilometern Luftlinie Entfernung gibt es im Nordosten des Bezirkes Bruck an der Leitha zwei Reviere namens Deutsch-Haslau und Prellen Kirchen. Die haben es in den letzten Jahren geschafft, fast einen Hasen pro Hektar zu erlegen. Im Falle von Deutsch-Haslau waren das beispielsweise 800 Stück. Und das nachhaltig. Was machen die anders? Zum einen führen sie eine ganz intensive Bejagung des Haarraubwildes durch, jedoch ohne irgendwelche Radikalmethoden, denn das bekommt man auch alles in der Zeit hin, wenn keine unselbstständigen Jungen da sind. Zum anderen haben sie dort einen Enthusiasten der Jagd auf Nebelkrähen. Der sitzt 200 Tage bei Sonnenaufgang im Revier und hat vierstellige Jahresstrecken. Auch das dürften viele andere genauso machen, es ist halt nur mühselig. Die zehn Prozent Biotopfläche trotz intensiver Landwirtschaft stellen einen weiteren positiven Faktor dar. Es führt nämlich die Autobahn A6 durchs Revier, wofür Ausgleichsflächen geschaffen werden mussten, die von der lokalen Jägerschaft bewirtschaftet werden. Außerdem haben sie sehr viele Windräder stehen. Je nach Verhandlungsgeschick und Größe der Räder sind da für jedes Exemplar ein bis fünf Hektar als Ausgleich fällig. Dort, wo viele Windräder stehen, gibt es auch wenig Großgreife. Die neuesten Windräder erreichen an der Spitze bis zu 1.000 km/h und entwickeln einen unglaublichen Sog, in den die Greifvögel schnell geraten, weil sie von ihrer Evolution her nichts kennen, dass sich schneller bewegt als sie selbst. Die Jägerschaft findet laufend die Opfer solcher Kollisionen, worüber aber in den Medien nicht berichtet wird. Wenn da oben in der Luft Ruhe ist, tut man sich halt herunten am Boden auch wesentlich leichter. Die Niederwildhege ist in Zeiten der modernen Raumnutzung also nicht hoffnungslos. Wenn man die einzelnen Lebensbereiche zu einem Biotopverbundsystem mit Entfernungen unter 300 Metern verbindet, hat jede Fasan Henne die Chance, ihre Küken zu genügend Kerbtieren und Wasser kommen zu lassen. Je kürzer die Strecken zwischen den einzelnen Biotopbereichen wie Entwässerungsgräben und Miscanthus Streifen sind, desto schneller ist der Zuwachs und desto eher werden die Küken flugfähig. Wenn sie einmal fliegen, hat man schon gewonnen.
Was lässt sich noch beachten, vor allem im Hinblick auf die Landwirtschaft?
Bezüglich der Getreideernte haben wir eine Übereinkunft mit den Lohndreschern getroffen. Diese fahren mit ihren Maschinen auf den Feldern auf und ab und mähen den Bereich nahe des Blühstreifens als letztes. So kann das Niederwild vor dem herannahenden Lärm flüchten und fällt nicht gemeinsam mit der letzten Mahd dem Drescher zum Opfer. Hierdurch vermindern wir die Verluste an Jungtieren enorm und was man da bewahrt, hat man dann im Herbst zum Jagen. Ohne ein solches gezieltes Biotopmanagement hat man einfach keine Chance mehr. Von den bereits erwähnten zwölf gesetzten Jungen pro Häsin werden zwei für die Bestandserhaltung gebraucht. Üblicherweise verlieren wir die restlichen zehn ohne eigene Biotopmaßnahmen. Das heißt, ein Jagdverzicht allein führt zu keinen Streckensteigerungen. Erhalte ich drei von den zehn Junghasen und habe eine übliche Ausgangsdichte von 50 Hasen pro 100 Hektar, von denen 25 Stück weiblich sind, bleiben mir im Herbst auf diese 100 Hektar gerechnet 75 zur jagdlichen Entnahme. Und das ist ein wunderschönes Jagen. Ab diesen drei gehaltenen Hasen kann ich sogar populationssteigernd unterwegs sein. Man muss dabei jedoch sagen, dass die moderne intensive Landwirtschaft nicht mehr die Dichten verträgt, die wir in den 60er- und 70er-Jahren hatten. Biotopverbesserungsmaßnahmen erfolgen in Abstimmung mit den im Jagdausschuss vertretenen Grundbesitzern, welche uns mehr als die Hälfte der gezahlten Jagdpacht zur Finanzierung der Lebensraumaufwertungsprojekte überlassen. Die hierfür in Frage kommenden Flächen werden im direkten Austausch von den Landwirten selbst bestimmt, unter anderem per Google Maps. Bepflanzung und Pflege der Bereiche werden von uns übernommen – der Bauer braucht überhaupt nichts zu machen und hat auch keine Kosten. Wir finanzieren das einerseits aus den Rückführungen des Jagdausschusses, das sind rund 4.500 Euro pro Jahr. Vom Landesjagdverband bekommen wir als Versuchsrevier Saatgut zur Verfügung gestellt. Was übrig bleibt, zahlen wir aus der Jagdkassa, weil wir wissen: Ohne Biotopverbesserung brauchen wir in unserer agrarischen Intensivlandschaft erst gar nicht mehr anzutreten. Es werden auch Dinge wie Nistkisten und Fledermaushöhlen eingerichtet, da es nicht allein um das jagdbare Wild, sondern um einen umfassenden Ansatz geht. Darauf sind wir schon auch stolz.
Wie gestaltet sich der Umgang mit der lokalen jagdfremden Bevölkerung?
Die Bevölkerung wollen wir miteinbinden. Bei unserem jährlichen Jagdessen sind, nebenbei bemerkt, nicht nur die im Revier tätigen Bauern, sondern auch der Gemeinderat und natürlich der Bürgermeister eingeladen. Die örtliche Polizei ebenso, weil wir auch Hanf bei den Blühmischungen dabeihaben. Natürlich nur THC-freien – das ist nicht die Finanzierungsquelle der Jagdgesellschaft Lassee (lacht). Bei dem Essen gibt es dann Wild und Bilder und Diskussionen bei kostenlosem Wein und Bier, selbstredend haben wir dann auch alkoholfreie Getränke. Es geht um ein gesellschaftliches Ereignis – Jagd soll in die Gesellschaft mit hinein! Wir schreiben dann in der Gemeindezeitung: „Liebe Freunde, die ersten fünf Meter vom Blühstreifen gehören der Bevölkerung. Da soll sich jeder seinen Strauß pflücken und mit der Beute nach Hause gehen können. Aber die anderen 495 Meter der Blühfläche sollen bitte nicht betreten werden.“ Wir haben ja zum Beispiel 150 Reitpferde in Lassee stehen. Es ist auch da wichtig, dass wir eine gute Kooperation haben. Zu diesem Zweck wurden extra Reitwege erstellt, die zum Teil bepflanzt sind. Die sind als solche ausgewiesen und die Reiter halten sich daran. Das Wild gewöhnt sich komplett an diese Pferde. Wenn man in den Wald entsprechend hineinruft, kommt es auch entgegenkommend zurück. Mit Hunden gibt es halt manchmal ein bisserl Probleme – Es ist irgendwie klar, dass sich der freilaufende Flocki jetzt nicht immer an den Weg hält. Aber im Wesentlichen kommen wir gut miteinander aus und das ist eine eher konfliktfreie Zone. Auf diese Art und Weise gelingt es, bejag bare Niederwildbesätze in der intensivsten agrarischen Landschaft zu erhalten. Aber klar: keine Massenstrecken. Ich bin Jahrgang 1958, ich hab noch die Massenstrecken mit 1.000 Hasen an einem Tag erlebt. Diese Zeiten sind lange vorbei und die könnten wir auch nicht mehr retour bringen. Es geht darum, dass die Wildstände so gehalten werden, dass wir 200 bis 300 Fasane sowie 200 bis 300 Hasen jährlich schießen können. Mit den Wildenten kommen wir meist auf so ca. 700 Stück Wild. Das hört sich jetzt nicht nach viel an, aber für uns 20 Jäger ist das wunderschön. Wir missen da nichts!
Wie läuft die Gemeinschaftsjagd dann so konkret ab?
Riesenkreisjagden sind sowieso vorbei, weil wir im Herbst sehr viele Winterbegrünungen haben, große Flächen mit 15 bis 20 Hektar an einem Stück. Wenn das Grün einen Meter hoch ist, sind nach einem Schuss alle Hasen in der Deckung drin. Rausbringen tun wir da nix. Jetzt sind wir dazu übergegangen, dass einzelne Flächen so zu gehäckselt werden, dass sie sehr schön bejag bar sind. Alle 30 Meter werden sechs Meter Deckung stehengelassen. Auf jeder dieser Schneisen geht dann ein Jäger mitsamt angeleintem Hund durch, natürlich nur bei passendem Wind. Wir haben ausgemacht, dass wir den Hasen nur so, auf eine Entfernung zwischen 15 und 18 Meter, beschießen. Und auch da nur, wenn er breit läuft. Warum 15 bis 18 Meter? Weil auf diese Entfernung mit einem Drei-Millimeter-Schrot der Balg nicht durchschlagen wird. Das heißt, die Tötungswirkung ist der Schock und nicht die Muskelfleischverletzung. Das ist für uns insofern wichtig, als dass wir die Hasen hochqualitativ verwerten wollen. Wir erlösen durchschnittlich 30 Euro pro Stück, wofür da kein Schröterl am Wildbret sein darf. Ähnliches gilt für Fasane, für die wir 15 bis 20 Euro pro Stück bekommen. Hierfür dürfen sie nur abstreichend beschossen werden, da so mit der Brust der kulinarisch wesentlichste Teil unverletzt bleibt. Hier gilt ebenso: maximal Drei-Millimeter-Schrot und entsprechende Entfernung. 15 bis 20 Meter, wenn er weiter weg ist, schießt du ihn halt nächstes Jahr, denn dieselbe Fläche wird nur einmal pro Saison bejagt. In puncto Wildbret Qualität ist noch zu sagen, dass unbedingt schon während der Jagd zerwirkt werden muss. Also keine große Streckenlegung. Das macht man dann mit den Stücken, welche gegen Ende erlegt wurden. Leute aus dem Ort werden von uns zuerst mit Wildbret versorgt. Was an perfekt erhaltenen Exemplaren bleibt, liefern wir ebenso bratfertig ausgelöst ans Steirereck in Wien. Nur die Vorderläufe werden nicht entbeint, denn daraus lässt sich ein wunderbares Gulasch kochen. Einmal im Jahr machen wir auch Hasensalami. Das Wesentlichste ist für uns eben nicht irgendeine Streckenzahl, sondern dass wir hochwertigstes Wildbret erzeugen.
Möchten Sie abschließend noch etwas festhalten?
Vor 40, 50 Jahren wurde die Anzahl an Greifvögeln massiv reduziert, da die Rückstände gewisser Pestizide die Schalen ihrer Gelege zu dünn für einen Bruterfolg machten. Zusätzlich wurden Giftköder wie Phosphoreier gegen Nebelkrähen ausgelegt. Man hat das alles mit Gift wegreguliert und was übrigblieb, waren riesige Niederwildstrecken. Jetzt sind die Beutegreifer aus der Luft wieder zurück. Insbesondere die Nebelkrähe hat sich irrsinnig vermehrt und der Kolkrabe ist für uns dazugekommen. Dementsprechend schwierig ist es jetzt, Niederwildhege zu machen. Dass es aber trotzdem geht, dafür sind wir hier der Beweis.
Haben Sie noch einmal herzlichen Dank für die aufschlussreichen Einblicke! Wir wünschen noch viel Erfolg in der Zukunft!