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Zugegeben – vom sachlichen Standpunkt aus gesehen, erscheint es zumindest als etwas gewagt, bei Hirschen von einem regelrechten „Charakter“ wie bei uns Menschen zu sprechen. Immerhin kursieren schon genug anthropomorphe Darstellungen in den Medien, welche den Jäger nicht selten als böswilligen Störenfried der idyllischen Lebensumstände der vermenschlichten Wildtiere präsentieren. Jenseits von Wohlfühldokus und Disneyklischees aber ist der Persönlichkeitsbegriff für das Weidwerk durchaus dienlich, da sich mit dessen Hilfe gut die teilweise stark voneinander abweichenden Verhaltensweisen von Hirschen beschreiben lassen. Nicht ohne Grund zählt neben dem Körperbau auch der Habitus eines Stücks zu den wesentlichen Punkten des sorgfältigen Ansprechens. Die von Herrn Mag. Andreas Hörtnagl über Jahre hinweg festgehaltenen Beobachtungen bieten auch hierbei einen zugleich unterhaltsamen wie lehrreichen Einblick in diese faszinierende Welt der älteren Hirsche.

Um die schnelle Wiedererkennung des jeweiligen Hirsches beim Austausch mit seinen Jagdkollegen zu gewährleisten, wurde jedes der im Buch vorgestellten Stücke mit einem eigenen Namen versehen. Hierbei gaben häufig besondere physische und/oder habituelle Merkmale den Ausschlag, wobei mitunter auch Fantasie und Zufall als Akteure mitwirkten. Wer jetzt schon in seinen Gedanken fleißig an Namen für das Rotwild im eigenen Revier bastelt, kann ruhig ein ordentliches Maß an Kreativität einfließen lassen, da dieses die Einprägsamkeit fördern kann. Wie wäre es denn mit etwas Exotik? Ein durch sein besonders prächtiges Geweih auffallender Hirsch wurde von Andreas Hörtnagl und seinen Mitjägern beispielsweise auf den Namen „Wapiti“ getauft. Da dieses Exemplar über eine das kundige Auge auf sich ziehende Auslage verfügte und zudem in der Brunft besonders lautstark zu melden pflegte, wurde es anfangs sogar mit der Kombination „Wapitischreier“ bedacht. Wapiti war ein kapitaler Hirsch wie er im Buche steht und stach in seiner Glanzzeit jeden Konkurrenten aus. Aufgrund seiner stattlichen Erscheinung machte er schon im elften Kopf einen wesentlich älteren Eindruck, was erneut die Wichtigkeit guter Kenntnisse über den Rotwildbestand im Revier unterstreicht.

In puncto Wehrhaftigkeit stand der sogenannte „Sichla“ seinem oben beschriebenen Artgenossen in nichts nach. Als besonderes Charaktermerkmal lässt sich hier die ausgesprochene Aggressivität des Sichlas nennen, da jener selbst im Bereich um die winterliche Fütterung andere Hirsche in Kämpfe verwickelte, welche er durch seine hervorragende Körperkraft für sich entschied. Zusätzlich war jener „Krawallmacher“ oft noch lange nach der eigentlichen Brunftzeit auf der Suche nach Gelegenheiten zur Fortpflanzung, nicht selten bis weit hinein in den Winter. Sein unnatürlich langanhaltendes aggressives Gebaren machte den Sichla zu einer Quelle erheblicher Unruhe, weswegen man sich dessen Erlegung relativ bald zum Ziel machte. Immerhin trug der „Dauerbrunftler“ bereits in der Zeit um den neunten und zehnten Kopf zahlreiche Anzeichen einer ordentlichen Reife, etwa einen hängenden Ziemer oder eine dreieckig gemahnende Kopfform zur Schau. Nichtsdestoweniger vermochte der Sichla ein recht hohes Alter zu erreichen, da den ihm nachstellenden Jägern in dieser Beziehung lange Zeit wenig Glück beschieden war. Der Hirsch selbst hingegen überstand einmal sogar einen Krellschuss.

Während die einen Hirsche durch ihre imposante Erscheinung oder ihr auffälliges Verhalten die weidmännische Aufmerksamkeit erregen, halten sich die anderen eher im Hintergrund und werden häufig übersehen. Eindeutig zum zweiten Typus gehört „Endei“, welcher durch eine besonders geformte Kronenspitze die Inspiration für diese spezielle Namensgebung lieferte. Seine anfänglich vielversprechende Geweihentwicklung geriet schon relativ bald ins Stocken, weshalb die Trophäe eher unscheinbar ausfiel. Dies hing mit dem Umstand zusammen, dass Endei das Nahrungsangebot der Fütterung ablehnte und daher offensichtlich nicht über genug Nährstoffe für ein imposantes Geweihwachstum verfügte. Solche Stücke werden in der Gegend mitunter als „Stoandl-Hirsch“ bezeichnet, da das Gebirge in der kalten Jahreszeit ohne menschliches Eingreifen reichlich wenig Äsung bietet und sich die Fütterungsverweigerer im übertragenen Sinne eben von Steinen ernähren müssen. Der Körperbau Endeis erweckte Zeit seines Lebens einen jugendlichen Eindruck und wegen seiner geringen Körperfülle konnte das eigentlich relativ schwache Geweih auf den ersten Blick einen wesentlich größeren Eindruck erwecken.

Bei „Maxl“ handelte es sich um einen weiteren Spezialfall. Dieser zeichnete sich durch eine sehr vorsichtige Natur und ein schon zu Beginn der Beobachtung hohes Alter aus. Seine schmächtigere Statur führte zusammen mit dem eher schlichten, aber dennoch keine Einteilung in die Klasse 3 ermöglichenden Geweih dazu, dass Maxl sozusagen durch die Maschen glitt. Zu seinem schwer einschätzbaren Alter kam später noch ein ausgesprochen heimliches Verhalten hinzu, was diesen Hirsch schließlich im 19. Kopf als Fallwild enden ließ.

Den Wert weidmännischer Geduld und Hartnäckigkeit veranschaulicht die Geschichte „Josys“, eines Hirschs, der einen ganz besonderen Platz in der Erinnerung von Andreas Hörtnagl einnimmt. Bis zum neunten Kopf trug der Hirsch aus dem Gasteiner Kötschachtal nur ziemlich unterdurchschnittliche Stangen auf dem Haupt. Die Situation änderte sich jedoch mit einem deutlichen Schub zum zehnten Kopf hin, wie es für die Gattung nicht unüblich ist. Die vielversprechende Entwicklung zu einem wahrhaft reifen Hirsch schien durch eine Verletzung Josys am linken hinteren Lauf im zwölften Kopf stark bedroht. Nach einigem Kopfzerbrechen entschied man sich aber dazu, von einem Hegeabschuss zunächst Abstand zu nehmen, wobei die Beteiligten jedoch auf eine sehr gründliche Beobachtung des verletzten Stücks achteten. Glücklicherweise konnte sich der Verwundete erholen und etablierte sich in der Folge als stattlicher Platzhirsch. Doch auch diese Zeit währte nicht ewig, denn im 15. Kopf wurde der bisherige Champion in der Brunft von einem jüngeren Herausforderer im Zweikampf geschlagen. Das Bessere ist nun einmal des Guten Feind.

In der Brunft des folgenden Jahres war es dann nach langem, bangem Hoffen endgültig an der Zeit, die Früchte weidmännischer Geduld zu ernten. Trotz mehrfach ungünstiger Umstände gelang es Hörtnagl, sich auf durchaus abenteuerliche Weise an den durch einen mit Jungwald bewachsenen Schlag ziehenden Josy heranzupirschen. Die dichte Vegetation verunmöglichte es dem in höchster Anspannung verharrenden Apotheker zunächst, einen ordentlichen Schuss anzubringen. Als der misstrauisch gewordene Josy jedoch verhoffte und mit vorgerecktem Träger in die Richtung eines umgestürzten Wurzelstocks spähte, hinter dem der Jäger kurz zuvor mit der Büchse im Anschlag verharrt war, schien der entscheidende Augenblick endlich gekommen und das Krachen des Repetierers hallte durch den Septemberabend. Der über eine kurze Distanz von unter 20 Metern angetragene Schuss ließ den reifen Hirsch direkt zusammenbrechen. Nach mehr als eineinhalb Jahrzehnten war die Ernte nun eingebracht. Zumindest fast, denn eine letzte Anstrengung stand noch an: Die stattliche Jagdbeute musste gemeinsam mit mehreren Helfern zu Tal gebracht werden. Aufgrund seines relativ hohen Alters hatte Josys Geweih schon deutlich zurückgesetzt, wobei es jedoch nach wie vor eine eindrucksvolle Trophäe darstellte. Es verwundert daher auch wenig, dass Josy zum Salzburger Hubertushirsch des Jahres 2014 gekürt wurde.

 

Wie etwa der Fall des kampfeswütigen Sichla zeigt, legt Rotwild manchmal höchst individuelle Verhaltensweisen an den Tag, welche den Jäger vor spezielle Herausforderungen stellen können. Ebenjene „Wesenszüge“ stellen dabei keineswegs nur potenzielle Störquellen dar, tragen sie doch zum ganz besonderen Erlebniswert einer Hirschjagd bei. Wer noch tiefer in die fachliche Seite der Materie eintauchen oder einfach nur noch mehr über solche Charakterköpfe des Waldes erfahren möchte, sei erneut auf das reichhaltig illustrierte Buch von Andreas Hörtnagl verwiesen.

 

Othmar F. C. Hofer

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