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Wer im Rothaargebirge in Nordrhein-Westfahlen umherwandert, kann unter Umständen einen Anblick von ganz besonderer Natur haben. Seit 2013 findet sich in dieser Gegend nämlich Deutschlands einzige wild lebende Wisentherde. Wie es dazu kam und wie sich so ein Alltag mit den europäischen Verwandten der Bisons gestaltet, erfahrt ihr hier in unserem Interview.

Sehr geehrter Herr Brenner, wie gestalteten sich die Anfänge des Wiederansiedlungsprojektes? Vereinfacht gesagt: Warum gibt es Ihren Verein?

Klaus Brenner: Der Vater des Projektes war Prinz Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Es hat lange gedauert, bis es überhaupt zur Realisierung gekommen ist. 2008 hat man eine erste Herde zusammengestellt. Diese hat man in einem etwas über 80 Hektar großen Auswilderungsgehege an die Umgebung gewöhnt. Da sind die Tiere fünf Jahre lang geblieben, bis man sie 2013 in die freie Wildbahn entlassen hat. Geregelt wurde das Ganze über einen sogenannten „öffentlich-rechtlichen Vertrag“. Die Tiere nutzten dann ein Streifgebiet, das um das Doppelte größer war als vorher angenommen. Und genau hierin lag das Problem, da die Wisente Buchenbestände schälten. Die betroffenen Waldbauern wurden zwar entschädigt, doch hat sich der Unmut bis heute nicht wirklich beruhigt. Es hat auch gerichtliche Verfahren gegeben, die unserem Verein erhebliche Kosten aufgebürdet haben. In der Folge haben wir das Eigentumsrecht über die Tiere zurückgelegt und den Vertrag aufgelöst. Aus unserer Sicht ist die Herde somit herrenlos.

 

Wie gestaltet sich die Lage jetzt?

Klaus Brenner: In Nordrhein-Westfalen haben wir eine besondere Situation. Die Wisente zählen nicht zum jagdbaren Wild, weswegen ausschließlich Naturschutzrecht maßgebend ist. Es ist nur sehr schwer möglich, Hand anzulegen an die Tiere, da sie sich in der höchsten Schutzkategorie befinden. Was wir natürlich im Rahmen des Managements machen müssen, ist, Jungbullen zu entnehmen. Meist können wir diese nicht an andere Gehege vermitteln und daher haben wir keine andere Wahl als die letale Entnahme. Bei der Herdengröße hat man sich eine Richtschnur von etwa 25 Tieren gesetzt. Solange wir die Herde noch betreuten, gelang es uns auch, die Zahl zu halten. Jetzt, da wir das Eigentumsrecht aufgegeben und das Management eingestellt haben, steigen die Zahlen. Da laufen aber im Moment noch Verhandlungen mit den Naturschutzbehörden.

 

Sehr geehrte Frau Heising, möchten Sie etwas ergänzen?

Kaja Heising: Ihre Ursprungsfrage war: Warum gibt es uns? Ich würde da vielleicht die Gegenfrage formulieren und sagen: Warum nicht? Warum soll man es nicht machen? Studien haben erwiesen, dass es für einen so dicht bevölkerten Staat viele potenzielle Lebensräume für den Wisent in Deutschland gibt. Wir sprechen hier vom einzigen noch überlebenden Wildrind Europas. Das heißt, es ist eine Schlüsselart im Ökosystem und niemand sonst hat sich bisher getraut, diese Art zurückzubringen, obwohl wir Menschen ja daran schuld sind, dass sie in freier Wildbahn ausgestorben war.

Ich möchte noch festhalten, dass die letale Entnahme von Jungbullen wirklich nur die Ultima Ratio darstellt. Der Abschuss erfolgt hauptsächlich aus genetischen Gründen, um Inzucht in der isolierten Herde zu vermeiden. Es geht also vorrangig um die Tiergesundheit und nur nebensächlich um die Bestandskontrolle. Mit einem Anwachsen der Stückzahlen ist nämlich nicht automatisch ein Anstieg des Wildschadens verbunden.

 

Wie ging die Wiederansiedlung aus wissenschaftlicher Perspektive konkret vonstatten?

Kaja Heising: Die Tiere stammen bewusst alle aus Gehegen. In Polen gibt es ein Zuchtbuch und mit dessen Hilfe hat man uns genetisch passende Tiere zusammengestellt. Eine Kuh zum Beispiel ist im Zoo von Amsterdam geboren. Andere stammen aus Einrichtungen in Belgien oder Deutschland. Das Zuchtbuch war das erste seiner Art, der Wisent ist also ein Vorreiter in Sachen Artenschutz. Die Tiere mussten sich dann zunächst erst einmal kennenlernen und eine Sozialstruktur herausbilden. Außerdem mussten sie sich an die selbstständige Nahrungssuche gewöhnen. Man möchte ja dann in der Wildbahn nicht eine Tonne Wisent vor einem stehen haben, die dich dann nach Futter fragt. Die Tiere wurden auf eine ausreichende Fluchtdistanz zum Menschen hin getestet. Exemplare, die diese nicht zeigten, kamen dann in unser Schaugehege. Da lebt eine Herde, die sozusagen als Botschafter für die Sache des Wisents fungiert. Die anderen wurden letztendlich freigelassen. Das Ganze war recht komplex, aber notwendig und auch sinnvoll. Von den damals ausgewilderten Tieren leben maximal noch zwei Stück, das heißt, alle anderen Tiere der Herde sind in Freiheit geboren. Wir merken auch von Jahr zu Jahr, dass die Tiere an Fluchtdistanz gewinnen. Der Abstand zwischen Wisent und Naturnutzenden wird also stetig größer. Dadurch bestätigt sich, dass wir den richtigen Weg gegangen sind.

 

Ergeben sich trotz der Fluchtdistanz manchmal Probleme aus dem Kontakt der Wisente mit Menschen?

Klaus Brenner: Wir haben mit den Touristikverbänden der Region Verhaltensregeln aufgestellt, die auch überall an den einschlägigen Hauptwanderwegen angebracht wurden. Das ist im Grunde genommen genau dieselbe Situation, wie sie bei Ihnen in Österreich auf den Almen besteht. Wenn die Kuh ein Kalb hat, verteidigt sie das. So ist das auch hier bei den Wisenten der Fall. Das hat bei überraschenden Begegnungen zu Konflikten geführt. In einem Fall: Hätte eine Frau ihren Hund einfach laufen lassen können, dann wär gar nichts passiert. Sie hat ihn aber an der Leine gehabt. Dadurch ist eine Wisentkuh, die ihr Kalb verteidigen wollte, auf sie zugekommen. Wir wissen nicht genau, ob sie von der Kuh umgestoßen wurde oder einfach beim Rückwärtsgehen umgefallen ist – das ist so ein Streitpunkt. Einmal ist ein Hund ums Leben gekommen, weil man ihn angebunden und mehr oder weniger allein gelassen hatte. Das hat ein Wisent zum Anlass genommen und ihn getötet. Und ein Autounfall ist passiert, bei dem eine Wisentkuh zu Tode kam. Im Vergleich dazu, was sonst so an Wildunfällen passiert, lässt sich das rein rechnerisch gar nicht darstellen.

Im Hinblick auf die jagdliche Situation haben sich überhaupt keine Konflikte gezeigt, gerade bei den großen Bewegungsjagden der Rentkammer nicht (Besitzverwaltung des Hauses Sayn-Wittgenstein-Berleburg und größter privater Forstbetrieb in NRW; Anm. d. Red.). Wie gesagt, ist die Fluchtdistanz bei den Tieren größer geworden und die Jagdhunde wissen auch damit umzugehen. Die kennen das mittlerweile und weichen einfach aus. Von daher ist also, was die jagdliche Nutzung anbelangt, kein Konfliktpotenzial vorhanden.

 

Kaja Heising: Ich möchte diesbezüglich noch ergänzen, dass alle Begegnungen mit Wisenten durch die Anwesenheit von Hunden verursacht und durch diese provoziert wurden. Es gibt keine uns gemeldeten direkten Begegnungen zwischen Wisent und Mensch ohne Hund. Den Vergleich mit Almkühen würde ich so weit ablehnen, als wir hier von domestizierten Tieren sprechen, denen die Scheu vorm Menschen über Generationen hinweg abgezüchtet wurde. Beim Wisent handelt es sich um ein Wildtier, der Respekt vorm Menschen ist also noch vorhanden. Das heißt, man kann beim Wisent davon ausgehen, dass grundsätzlich bei Begegnungen keine so große Gefahr für den Menschen ausgeht, wie man es von domestizierten Tierarten kennt. Nichtsdestotrotz hat Herr Brenner natürlich völlig recht, dass Muttertiere selbstverständlich ihre Kälber verteidigen. Sie wissen ja als Jäger selbst, wie wichtig es ist, vor jedem Wildtier Respekt zu haben, egal, ob das jetzt ein Wildschwein, ein Hirsch oder ein Wisent ist. Wir appellieren, dem Wisent – oder einer rückkehrenden Tierart generell – halt auch noch genug Zeit zu geben, damit sich alles gut einspielen kann.

 

Wie sieht die lokale Bevölkerung das Wisent im Kontext dieses „Zeitgebens“?

Kaja Heising: Es gibt drei verschiedene Meinungsumfragen, welche unabhängig von uns als Verein stattfanden. Schon vor Start des Projektes war die Mehrheit der lokalen Bevölkerung dafür, dass der Wisent kommen soll. Später wurde die Umfrage dann wiederholt. Man hat ganz bewusst die Einwohner der Kreise befragt, in denen sich die Wisente bewegten, nicht diejenigen aus den Großstädten, die ohnehin alles schön und süß und flauschig finden. Auch da hat sich während der Anwesenheit der Wisente gezeigt, dass kreisunabhängig 83 Prozent der lokalen Bevölkerung eine Pro-Wisent-Einstellung hatten. Das war 2016. Zudem wurde erwartet, dass der Wisent einen positiven Einfluss auf den Tourismus in der Region haben wird. Das ist dann laut Tourismusverbänden auch wirklich so gekommen. Diejenigen, die dagegen sind, sind die Lauteren. Das ist wichtig, zu verstehen. Das sind auch die Interessanteren für die Medien. Dadurch wird das Bild nach außen hin de facto auch etwas verzerrt.

 

Existieren noch weitere Ansätze zur Wildschadensregulierung beim Wisent?

Kaja Heising: Zum einen gibt es da die Winter- bzw. Zusatzfütterung. Das hat die Wisente allerdings nur außerhalb der Vegetationsperiode interessiert. Das heißt, wir haben die Wisente während des Winters sehr erfolgreich auf den gewünschten Flächen halten können. Das ist durch ein Gutachten der Tiermedizinischen Hochschule Hannover bestätigt worden. Der Bewegungsradius der Herde im Winter unterscheidet sich signifikant von dem im Sommer. Auf diese Weise lassen sich die wirtschaftlichen Schäden zumindest in der Wintersaison vermeiden.

 

Klaus Brenner: Dadurch, dass wir den Vertrag gekündigt und das Eigentum aufgegeben haben, ist das mit der Fütterung ein Konfliktpunkt. Da es sich um eine geschützte Tierart handelt, darf ein Einwirken nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde erfolgen und dazu zählt im Grunde genommen auch die Lenkungsfütterung. Da haben wir im Moment noch kein positives Signal, dass wir die Fütterung wieder aufnehmen können. Wir stehen aber Gewehr bei Fuß und können sofort wieder beginnen, wenn grünes Licht gegeben wird.

 

Kaja Heising: Wir haben natürlich in der Vergangenheit verschiedene Maßnahmen ausprobiert, um die Tiere von den unerwünschten Flächen fernzuhalten. Die waren aus verschiedenen Gründen erfolglos. Was zum Beispiel im Fall von Elefanten in Afrika und Sri Lanka gewirkt hat, um diese von landwirtschaftlich genutzten Flächen fernzuhalten, war der Einsatz von Bienen und Tonaufnahmen von Bienen. Da arbeiten wir aktuell mit Frau Prof. Dr. Witte von der Universität Siegen zusammen, welche die Idee hatte, das auch bei heimischen Herbivoren (Pflanzenfresser; Anm. d. Red.) zu testen. Der Wisent und die Problematik, die wir hier in der Region hatten, bieten sich da sehr gut an. Die Fragestellung lautet: Reagieren Wisente auf die Tonaufnahmen von aggressiven Hautflüglern? Darüber hinaus wissen wir, dass Einzelschutzmaßnahmen sehr effektiv helfen können. Das wurde den Klägern angeboten, aber leider von diesen abgelehnt. Das war jedoch vor meiner Zeit hier, da kann Herr Brenner mehr dazu erzählen.

 

Klaus Brenner: Wir wollten die sogenannten „Zielstämme“ fürs Schälen der Wisente mit einem Einzelschutz versehen. Das wollten die Waldbauern aber nicht haben, die nahmen lieber die Entschädigung. Laut Vertrag stehen für die Regulierung der Schäden jährlich circa 50.000 Euro zur Verfügung. Die Entschädigung der Bauern erfolgt nach forstwirtschaftlichen Gutachten, bisher sind wir damit zurechtgekommen. Aber die letzten Gerichtsurteile stehen gegen uns und wollen, dass die Wisente die Flächen der Waldbauern nicht mehr betreten. Deshalb jetzt auch der Versuch mit den Bienengeräuschen mit der Universität Siegen.

 

Kaja Heising: Die Entschädigungsmaßnahmen finden nach Marktwert statt, so wie in Nordrhein-Westfalen auch bei Rotwild üblich. Das Geld für Rotwildschäden wird jedoch zweimal jährlich ausgeschüttet. Beim Wisent ist es bewusst unsere Absicht, das unmittelbar zu tun. Wir haben uns zudem freiwillig dazu bereit erklärt, dass im Zweifel gegen den Wisent entschieden wird. Es wurde also auch gezahlt, wenn Wisente lediglich nicht als Verursacher ausgeschlossen werden konnten. Überhaupt ist es mir wichtig, dass wir, wenn von Schäden die Rede ist, von ökonomischen Schäden sprechen. Aus ökologischer Sicht ist es ja vielmehr ein positiver Wert. Zum Beispiel finden durch das Wildschwein auch ökonomische Schäden statt, aber von dem verlangt keiner, das wieder abzuschaffen. Das war halt schon immer da und man muss dem Wisent, wie schon gesagt, auch Zeit geben. Für eine langfristige Koexistenz zwischen Mensch und Wisent sind aber auch Umweltbildung und Aufklärung entscheidend.

 

Wie sehen Sie das Verhältnis des Menschen zur Natur generell und zum Wisent im Besonderen?

Klaus Brenner: Also das Interesse am Wisent ist nach wie vor ungebrochen. Das sehen wir an den Besucherzahlen unseres Schaugeheges, denen hat selbst Corona nicht viel anhaben können. Es kommen viele Touristen, auch ausländische. Schulklassen sind ebenso stark vertreten. Wir wollen das alles noch ausbauen und weiterentwickeln, was natürlich Zeit braucht. Wir im Vorstand sind ehrenamtlich tätig, weswegen es manchmal nicht so schnell vonstattengeht wie im professionellen Bereich. Fest angestellt sind nur unsere zwei Wisent-Ranger, Frau Heising und Frau Cox in der Geschäftsstelle.

 

Kaja Heising: Das Bewusstsein gegenüber Umwelt und Klimaschutz wird ja zurzeit immer größer. Was uns hier betrifft, darf man nicht vergessen, dass das Projekt in dieser Form das einzige in Westeuropa ist. Entsprechend hat es auch einen Stellenwert und großes Potenzial, im nationalen, aber ebenso im internationalen Artenschutzbereich. Das wird von Fachleuten anerkannt. Wir sehen also eine große Chance für den Wisent in der Zukunft.

 

Wir danken Ihnen für die interessanten Einblicke und wünschen noch viel Erfolg mit den Wisenten!

 

Infobox:

Schaugehege: Wisent-Welt-Wittgenstein

Website: www.wisent-welt.de