System Natur
In seinem Buch „Wie wir jagen wollen“ legt Markus Moling ein überzeugendes moralisches Grundgerüst für eine moderne Ausübung der Jagd dar. Der Professor für Philosophie an der Theologischen Hochschule Brixen und begeisterte Wildbeobachter führt zunächst ins Feld, dass es sich beim Weidwerk um eine Form der Umweltnutzung handelt, weshalb unser Naturbegriff über entscheidende Bedeutung für die Jagdethik verfügt. Früher wurde der Mensch als Herr über seine Umwelt und die Natur als bloße Ressourcenspenderin wahrgenommen. Eine Haltung, welche heute zu Recht in ihrer anthropozentrischen Einseitigkeit kritisiert wird (siehe auch: „Mutter Natur zieht vor Gericht“, Jagern NR 2/2022, S. 22-24). Trotz aller Fehler in Vergangenheit und Gegenwart darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass unser aller Leben erst durch massive Eingriffe in die Umwelt in Form der Landwirtschaft ermöglicht wird. Eine idealisierte Vorstellung von der unberührten Natur, die den Menschen nicht als Teil ihrer selbst, sondern als reinen Störenfried wahrnimmt, ist somit ebenso irreführend wie das Konzept von der absoluten Naturkontrolle. Da wir mit zu der bunten Vielfalt an Spezies auf dem Planeten Erde gehören, darf und muss es auch zu einer menschlichen Nutzung der Umwelt kommen. Allein aus dem Anrecht auf Interessensverwirklichung ergibt sich aber noch keine vollständige Legitimation des Weidwerks. Hier gilt es zu bedenken, dass der Einfluss durch Jägerinnen und Jäger auf die Natur nicht zwangsläufig schädlich sein muss, sondern vielmehr positive Auswirkungen auf Bereiche wie die Artenvielfalt haben kann. Die modernen Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse des Menschen begünstigen gewisse Wildtiere, während anderen ein großer Nachteil entsteht. Auf die Jagd zu verzichten, würde hier bedeuten, ein wichtiges Instrument für die Erhaltung von Ökosystemen wegzugeben. In diesem Kontext haben die ökologischen Kreisläufe keinen Wert aus sich selbst heraus, da eine solche Bedeutung nur über letztlich vom Menschen willkürlich festgelegte Maßstäbe wie Unberührtheit oder Ästhetik zustande käme. Die Wichtigkeit intakter Ökosysteme ergibt sich vielmehr aus deren unabdingbaren Beitrag zum Wohlergehen der darin befindlichen Lebewesen. Deontologisch gesehen, haben Jäger aufgrund ihrer speziellen Kenntnisse und Möglichkeiten das Recht und sogar die Pflicht, die Natur mitzugestalten. Hierbei muss aber darauf geachtet werden, dass solche Eingriffe auf lange Sicht mehr positive als negative Konsequenzen zeitigen. Dem Stichwort der Nachhaltigkeit kommt hier entscheidende Bedeutung zu.
Moralische Verantwortung
Abseits seiner Stellung im natürlichen Kreislauf kommt jedem Stück Wild schon auch eine individuelle moralische Bedeutung zu, welche sich aus dessen Schmerzempfinden ergibt. Da die allermeisten Tiere nicht über die Ansätze eines Selbstbewusstseins verfügen, können sie auch nicht über ihr Verhalten nachdenken, was eine moralische Bewertung ihrer Aktionen verunmöglicht. Über ihre Rolle als potenzielle Leidtragende menschlichen Handelns bekommen Tiere jedoch einen Status ethischer Relevanz, welcher mit dem Schlagwort des „moralischen Patienten“ betitelt wird. Wenn wir uns als Jäger zum Schuss entschließen, haben wir gegenüber diesen unseren Patienten die besondere Verantwortung, ihr Ableben möglichst schmerzfrei zu gestalten. Als vernunftbegabte Wesen dürfen wir Wild erlegen und als Nahrungsmittel verwerten, doch mit dem Nutzungsrecht geht ebenso eine Pflicht zur Selbstkontrolle einher. Diese Sichtweise auf das Verhältnis zwischen Mensch und Natur kann als moderater Anthropozentrismus bezeichnet werden, da der Homo Sapiens zwar nach wie vor eine entscheidende Rolle spielt, sich dabei aber nicht wie ein tyrannischer Ausbeuter, sondern vielmehr gleich einem vorausschauenden Verwalter benehmen muss. Leidverminderung und Nachhaltigkeit stellen da zwei fundamentale Säulen der Weidgerechtigkeit dar, ohne die unser Handeln als Jäger nicht nur schwer rechtfertigbar, sondern letztlich auch mit einem äußerst schalen Beigeschmack versehen wäre. Schon Aristoteles sprach eben davon, wie wahrhaft moralisches Handeln letztendlich zu Freude führt.
Fazit
Überall, wo der Mensch die Natur für seine Zwecke nützt, kann es zu Missbrauch und Raubbau kommen, die Jagd stellt da leider keine Ausnahme dar. Doch wo Schatten ist, muss auch Licht sein. Gerade dieses Nutzungsinteresse kann, vorausgesetzt es wird in die richtigen Bahnen gelenkt, wesentliche positive Auswirkungen zeitigen. Nicht ohne Grund findet man seit jeher zahlreiche Jäger unter den vielleicht nicht lautesten, doch sicher effektivsten Vorkämpfern für Artenschutz und Naturbewahrung. Etwa am Beispiel des Auerwildes wird besonders deutlich, wie weidmännische Interessen wesentlich zur Erhaltung einzigartiger Biotope und seltener Arten aktiv beitragen. Es ist eben nicht die Frage, OB der Mensch die Natur nutzen sollte, sondern vielmehr WIE dies geschieht. Unser Tun und Lassen sollte dabei stets vom hohen Maßstab der Weidgerechtigkeit geleitet werden, wobei wir uns nicht vom Rest der Gesellschaft abschotten, sondern aktiv und höflich auch auf Kritiker zugehen sollten. Öffentlichkeitsarbeit kann nämlich ebenso als eine Investition in die Zukunft dieses wunderbaren und archaischen Handwerks gesehen werden
(Leseempfehlung) Markus Moling: Wie wir jagen wollen. Ethische Überlegungen im Umgang mit Wildtieren, Athesia Verlag 2020