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Die Rehbrunft als biologisches Phänomen 

In den Tagen von Anfang Juli bis Ende August trägt sich bekanntlich in Wald und Feld mit der Rehbrunft alljährlich ein faszinierendes Schauspiel zu. Der vordergründig simpel erscheinende Fortpflanzungsvorgang erweist sich als hochkomplexe Materie, wenn man sich dem Ganzen vom wissenschaftlichen Standpunkt her annähert.

Die Kraft der Sonne

Gleich wie bei unzähligen anderen Tierarten, steht auch beim Rehwild die vermehrte Ausschüttung von speziellen Hormonen am Beginn seiner Paarungszeit. Beim Bock etwa bewirkt die sich ab dem Frühjahr wieder deutlich verstärkende Sonneneinstrahlung einen Anstieg an Sexualhormonen, welche allmählich die für den Geweihaufbau verantwortlichen Botenstoffe ersetzen. Hierdurch kommt die Versorgung der Basthaut mit Nährstoffen zum Erliegen und das anfangs noch weiche Gewebe wird mittels Kalkeinlagerung versteift – der Bock vereckt. 

Die nunmehr überflüssige Haut an den fertigen Stangen wird durch intensives Reiben an Jungbäumen und Co., welches nebenbei auch der Reviermarkierung dienlich ist, beseitigt. Die malträtierte Flora gibt Gerbstoffe an das ursprünglich knochig-weiße Geweih ab, was für dessen braune Färbung verantwortlich ist. Aus dem Zeitpunkt des Verfegens lassen sich übrigens keine zuverlässigen Rückschlüsse auf das Alter des Stückes ziehen. Das Erscheinungsbild der Bastenden gibt hingegen zumindest Einblick in den Entwicklungsstand der Geweihstangen. Wirken die Enden rundlich und dick, schiebt der Bock noch. Läuft der Hauptschmuck jedoch spitzig-dünn zu, ist dessen Wachstum bereits abgeschlossen und es ist an der Zeit, den Bast abzustreifen. 

Je nach Zusammensetzung des fürs Fegen herangezogenen Materials können sich die Stirnwaffen in unterschiedlichen Farbnuancen präsentieren. Versuche in Gehegen haben gezeigt, dass zudem die Frische des zur Verfügung stehenden Gehölzes eine Rolle spielt, denn das Abstreifen des Bastes ausschließlich an trockenem Holz sorgt für eine fleckige, helle Farbe. Darüber hinaus spielt auch der Zeitpunkt eine Rolle. Haben Böcke erst einige Zeit nach dem Abschluss des Geweihwachstums die Möglichkeit zum Verfegen, dringt die Farbe nicht mehr richtig in das Horngewebe ein und kann daher einfach weggebürstet werden. 

Es liegt die Vermutung nahe, dass die Poren im Geweih durch hauteigenes Fett verschlossen werden, wenn sich der Bock damit seine Flanken kratzt. Der Einfluss der Sonneneinstrahlung wurde anhand eines anderen Experimentes deutlich, bei dem Rehe in Gefilde südlich des Äquators verfrachtet wurden. Die spontane Klimaveränderung beeinflusste den Lebensrhythmus der Tiere derart, dass sie ihre gerade erst geschobenen Geweihe abwarfen oder von der frischen Sommerdecke plötzlich zurück ins Winterkleid wechselten.

Revierkämpfe

Ist die Bewaffnung am Haupt erst einmal fertiggestellt und blankgewetzt, dauert es nicht mehr lange, bis sie zum Einsatz kommt. Schon ein Weilchen vor der Blattzeit erobern sich die kräftigeren Recken ein eigenes Revier, welches natürlich über die Brunftzeit hinweg mit Vehemenz verteidigt wird. Die innerartlichen Kämpfe folgen dabei in der Regel einem festgelegten Muster. Treffen zwei Kontrahenten aufeinander, beäugen sie sich zunächst kritisch mit erhobenem Haupt und nach vorne ausgerichteten Lauschern, wobei öfters ein Lauf durchaus in gewisser Ähnlichkeit zu Vorstehhunden angewinkelt wird. Es folgt ein Imponier- und Drohgehabe, welches demonstratives Plätzen miteinschließt. Ist der Gegner im Kampf um die Fortpflanzung ungefähr gleich kräftig und lässt sich nicht einschüchtern, tritt die Auseinandersetzung in ihre nächste Phase. Wie auf einen Startschuss hin stürzen die Böcke plötzlich los, um für eine Strecke von ungefähr 20 bis 80 Metern nebeneinanderher zu laufen. Sollte danach immer noch keiner von beiden klein beigeben, kommt es zum Showdown. Im Stechschritt schreiten sich die Brunftböcke kurz entgegen und springen dann endgültig aufeinander zu. Daraus resultiert ein heftiger Nahkampf Geweih an Geweih, der mitunter mehrere Anläufe braucht, bis einer als Sieger daraus hervorgeht. Der Unterlegene zeigt noch kurz eine Geste der Unterwürfigkeit, bevor er in wilder Flucht davonstürzt, nicht selten verfolgt vom Triumphator. Trotz der Heftigkeit, mit der diese Rangkämpfe geführt zu werden scheinen, ist die Verletzungsgefahr normalerweise eher niedrig. Bei untypischem Verhalten oder unglücklichen Umständen ist jedoch die Möglichkeit des Forkelns durchaus gegeben. Sollten große Unterschiede in der Geweihentwicklung bestehen, kann es in seltenen Fällen auch vorkommen, dass die Stangen des Stärkeren direkt am Schädelknochen seines unglücklichen Gegners auftreffen und diesen durchdringen. In unserer Zeit stellt jedoch der Autoverkehr eine weitaus größere Bedrohung für die häufig in blinder Flucht befindlichen Verlierer von Brunftkämpfen dar. 

Entscheidendes Zeitfenster 

Vom Platzbock wird ein hohes Maß an Ausdauer und Wachsamkeit gefordert, welches sich ähnlich wie bei seinen weitschichtigen Verwandten in einer starken Gewichtsabnahme äußert. Während die erwachsenen männlichen Exemplare ihrem Fortpflanzungsinstinkt über mehrere Wochen hinweg mit Hochdruck nachgehen, beschränkt sich das Zeitfenster für Ricken auf weniger als eine Woche. Lediglich für ungefähr vier Tage sind die Weibchen der Spezies Capreolus capreolus empfängnisbereit und somit im engeren Sinne brunftig. Dieser Zustand tritt durchschnittlich 67 Tage nach der Geburt des letzten Kitzes ein, so es sich denn um bereits erfahrene Mütter handelt. Die Witterung der vorangegangenen Monate beeinflusst den Zeitpunkt maßgeblich, wobei mildere Winter frühere Brunfttermine zur Folge haben und umgekehrt. Stücke in besserer körperlicher Verfassung werden zeitiger paarungsbereit als schwächere. Sollte eine Geiß überhaupt viel zu wenig Kraftreserven haben, entzieht sich diese der Brunft ganz, was durch plötzliches Hinlegen beim einleitenden Geplänkel signalisiert wird. Generell kann es auch zu einer Unterbrechung des Brunftaktes durch den männlichen Part kommen, sollte sein Gegenüber von der charakteristischen Verhaltensabfolge abweichen. Untersuchungen zeigten, dass der Anteil von für die Embryonalentwicklung entscheidenden Gelbkörpern im Blut von weiblichen Rehen eng mit deren Körpergewicht zusammenzuhängen scheint. Auf gut Deutsch gesagt: je schlechter die Konstitution von Geißen, desto niedriger deren Aussichten auf eine erfolgreiche Fortpflanzung. Wieder einmal untermauern somit wissenschaftliche Erkenntnisse das alte, aus Beobachtung gewonnene weidmännische Wissen. Auch wenn eine Geiß paarungsbereit ist, reagiert sie vorerst mit kurzen Fluchten, welche sich nicht selten über einen halben Kilometer erstrecken können, auf die Annäherungsversuche des Bockes. Dieser einleitende Abschnitt kann mehrere Stunden oder sogar Tage in Anspruch nehmen. Es verwundert daher wenig, dass die umtriebigen Böcke während der Paarungszeit ordentlich an Gewicht verlieren und danach erst einmal wieder zu Kräften kommen müssen, woraus ein sehr heimliches Verhalten resultiert. Sind die ersten Anfangsschwierigkeiten einmal überwunden, bleibt der Bock dicht an den Fersen der Ricke und das regelrechte Treiben setzt ein. Oftmals bewegt sich das Brunftpaar hierbei in konzentrischen Kreisen bzw. Ovalen, wodurch im hohen Gras oder Getreide die berühmten „Hexenringe“ entstehen können. Letztlich bleibt die Ricke unvermittelt stehen und der Paarungswillige reitet auf. Auch hier hat die Ausschüttung bestimmter Hormone im weiblichen Wildkörper die Hülle der Eizelle zum Platzen gebracht und deren Befruchtung ermöglicht. In der Folge nistet sich die Eizelle dann in der Gebärmutter ein und beginnt dann später zum Embryo heranzuwachsen. Dieser für Säugetiere typische Vorgang weist im Falle des Rehs jedoch eine Besonderheit von entscheidendem Vorteil auf.

Einzigartig unter den Huftieren – die Keimruhe 

Mit dem Beschlag geht der aus wissenschaftlicher Sicht wohl interessanteste Teil der Fortpflanzungsweise des Rehwildes los. Im evolutionären Überlebenskampf entwickelte die Art nämlich Eigenschaften, welche sie in ihrer reproduktionsbiologischen Besonderheit vor allen anderen Mitgliedern der zoologischen Familie auszeichnen. Während etwa beim Rotwild die Eizelle gleich nach der Befruchtung mit ihrer Entwicklung hin zum geburtsfähigen Jungtier beginnt, geschieht bei beschlagenen Rehgeißen zunächst nichts in dieser Hinsicht. Die Zygote – wie eine Eizelle nach der Befruchtung in der Biologie genannt wird – beginnt sich erst fünf Monate nach der Paarung zu vermehren. Hierdurch setzt das Embryonalwachstum erst in der Zeit zwischen Dezember und Jänner ein, was eine Geburt des Rehkitzes zu einer hinsichtlich der Witterung und dem Nahrungsangebot viel günstigeren Zeit ermöglicht. Die gesamte Tragzeit beläuft sich hierdurch auf stolze neuneinhalb Monate. Sollte sich das Äsungsangebot trotz der Verzögerung ins Frühjahr hinein einmal dennoch als ungünstig erweisen, besteht sogar die Möglichkeit einer Resorption des in seiner Entwicklung begriffenen Keims, wodurch ein Zustand wie vor der Trächtigkeit erreicht wird. Auf diese Weise werden anstrengende Geburten und Aufziehversuche bei ungünstiger Witterung gleich im Voraus vermieden. Sollte das Wetter lediglich um den normalen Setzzeitpunkt herum zu schlecht sein, kann eine hochträchtige Geiß die Geburt auch um einige Tage hinauszögern. Jene Zeitspanne, welche die Zygote quasi auf Halde verbringt, wird als „Keimruhe“ bezeichnet. Diese kommt bei mehreren anderen Tierarten wie etwa Bären, Dachsen, Mardern, Robben und Beuteltieren vor, stellt aber im Bereich der Geweihträger ein Unikum dar. Im Falle einer Nachbrunft – etwa durch frühreife Schmalgeißen oder während der Blattzeit unbeschlagene Geißen – entfällt die Keimruhe. Ungefähr zwischen Mai und Juni werden dann jedes Jahr die neuen Nachkommen geboren. Deren Anzahl kann vom einzelnen Kitz bis hin zu sehr seltenen Vierlingen reichen. Zwillingsgeburten sind dagegen häufig. Alter sowie körperliche Konstitution haben in dieser Beziehung ebenso wesentlichen Einfluss. Das Gebären selbst erfolgt meist auf der Seite liegend und dauert in etwa vier bis fünf Stunden, was sich auch nach der Anzahl der Kitze richtet.

Rätselhafte Rehvermehrung 

Ein kleiner Abstecher in die Geschichte der Wildtierbiologie zeigt, wie die Vorgänge der Natur einen mit ihrer vorgeblichen Einfachheit auch in die falsche Richtung locken können. Die lange Tragzeit beim Rehwild gab schon in Zeiten vor dem Bestehen moderner Untersuchungsmethoden Weidmännern und Naturforschern Rätsel auf. Es wurde vermutet, dass es in der Blattzeit lediglich zu einer Art Vorbrunft komme und sich die eigentliche Paarung erst heimlich im Winter ereigne. Die gelegentliche Beobachtung von Nachbrunften dürfte derartige Vermutungen noch befeuert haben. Erst als es im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer Verbesserung von Methoden und Ausrüstung der Naturwissenschaft – allen voran ist hier das Mikroskop zu nennen – kam, wurde der Irrtum allmählich aufgeklärt. So widmete Louis Ziegler, seines Zeichens Autor von populären jagdkundlichen Schriften, dem Thema mit den „Beobachtungen über die Brunft und den Embryo der Rehe“ bereits 1843 eine eigene Publikation – wie er selbst sagte für „Physiologen und naturforschende Jäger“. 

Es zahlt sich also auf jeden Fall aus, genauer hinzusehen. Diese abschließende Binsenweisheit ist für Jäger und Jägerinnen heutzutage umso bedeutsamer, da wir nicht nur als Naturnutzer, sondern auch als deren Vermittler und Fürsprecher gegenüber der Gesellschaft auftreten sollten. Ein etwas genauerer Einblick in die faszinierenden naturwissenschaftlichen Hintergründe der Rehbrunft kann da eine gute Grundlage bilden. Je mehr wir über unser Wild wissen und je intensiver wir unsere Kenntnisse mit jagdfremden Personen teilen, desto besser können wir auf kommende Herausforderungen reagieren. 

Othmar F. C. Hofer