Die Jagd auf Reineke in der stillen Nacht
Die Kälte schnitt wie mit Messern durch die dicken Lagen unserer Kleidung, als wir durch den verschneiten Wald pirschten. Die Nacht war klar und der Vollmond hing wie ein riesiger Silberkronleuchter über den Wipfeln der Tannen, sein Licht warf lange Schatten auf den glitzernden Schnee. Da war eine tiefe, unendliche Stille, die sich um uns legte. Es war die Art von Stille, die nur der Winter bringen konnte, wenn der Schnee alles unter sich begräbt – sogar die Geräusche.
Neben mir stapfte mein Großvater, der alte Jäger, der mit seinen stolzen 80 Jahren so viele Geschichten aus dem Wald kannte, wie es Bäume in ihm gab. Der Lodenmantel, den er trug, hatte schon so manche Jagd gesehen. Die Farbe des Stoffes hatte längst das dunkle Grün der Tannen angenommen und das Leder des Schulterriemens knarrte bei jedem Schritt. Er war fit für sein Alter, das musste man ihm lassen, und er trug sein Gewehr mit einer Selbstverständlichkeit, die nur von jahrzehntelanger Übung kommen konnte. Seine Bewegungen waren ruhig und kontrolliert, als würde er jede Pore dieses Waldes kennen.
„Du musst wissen, Bursche“, begann er leise, „diese Nächte sind die besten für Reineke. Der Mond macht den Schnee hell, und er kann uns genauso gut sehen wie wir ihn. Aber Füchse sind nicht wie Hasen oder Rehe. Reineke ist schlau – er weiß, wann er beobachtet wird. Früher war es eine Herausforderung, einen guten Fuchs zu erwischen. Aber wer einen Pelz von Reineke hatte, der hatte Gold in der Hand.“
Ich lauschte aufmerksam, während wir uns langsam und geduckt weiter durch den Wald bewegten. Großvaters Stimme hatte etwas Beruhigendes, fast als wäre sie Teil des Waldes selbst, tief und rau. Er sprach oft von der Zeit, als der Fuchspelz noch den Wert eines kleinen Schatzes hatte. Es war schwer, sich das vorzustellen in unserer modernen Welt, wo man für alles einen Knopf drücken konnte und die Menschen kaum noch Zeit hatten, sich auf die Natur einzulassen. Doch für meinen Großvater war das anders. Für ihn war die Jagd ein Handwerk, eine Kunst, die mehr verlangte als nur den Finger am Abzug.
„Weißt du“, fuhr er fort, während wir an einem alten umgestürzten Baumstamm vorbeigingen, „früher war ein Fuchs nicht nur ein Raubzeug, das man aus dem Weg schaffen musste. Ein guter Pelz, der hat uns das Weihnachtsessen finanziert. Ein feiner Braten, guter Wein und vielleicht noch eine Kleinigkeit für deine Großmutter. Der Fuchs war ein Geschenk des Waldes, wenn du ihn erwischt hast. Aber glaub mir, er ließ sich nicht leicht erwischen.“
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Die Falten um seine Augen vertieften sich, wenn er sprach, und ich konnte sehen, wie lebendig seine Erinnerungen an jene Zeiten noch waren. Für ihn war es nicht nur Nostalgie – es war die Essenz dessen, was Jagd bedeutete. Kein Schnickschnack, keine Technik. Nur der Jäger, sein Wissen und die Geduld.
Heute Nacht war meine erste Fuchsjagd, und ich wollte ihm zeigen, dass ich das Handwerk gelernt hatte, auch ohne die Hilfe moderner Geräte. Kein Nachtsichtgerät, kein Wärmebild. Nur das Mondlicht, der Wald und mein Instinkt. Ich wusste, dass mein Großvater insgeheim hoffte, dass ich seinen Weg fortsetzen würde – einen Weg, bei dem es um mehr ging, als nur darum, Beute zu machen. Es ging um das Gleichgewicht in der Natur, um den Respekt vor dem Wild und die Verantwortung des Jägers.
Der Wald öffnete sich langsam vor uns und wir traten auf eine kleine Lichtung. Der Mond schien hell, so hell, dass wir uns beinahe wie unter einer Straßenlaterne fühlten. Es war eine dieser magischen Winternächte, in denen die Sterne über uns so klar leuchteten, als könnten sie den Weg weisen. Ich hob mein Fernglas und suchte die Umgebung ab. Der Wald schien still, aber ich wusste, dass irgendwo da draußen Reineke Fuchs seine Runden drehte.
„Siehst du das?“, flüsterte Großvater und deutete auf den Waldrand, wo sich die Schatten der Bäume verdichteten. „Da drüben – schau genau hin.“
Ich folgte seinem Blick und tatsächlich, da war er. Eine Bewegung, kaum wahrnehmbar, aber genug, um meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Der Fuchs war da, geduckt und mit gesenktem Kopf, den Schwanz leicht angehoben, die Ohren aufmerksam gespitzt. Reineke wusste, dass er beobachtet wurde, und doch blieb er. Es war, als wolle er uns testen, unsere Geduld herausfordern.
„Geduld, Junge“, murmelte Großvater, „das ist der Schlüssel. Der Fuchs mag schlau sein, aber auch er hat seine Schwächen. Wenn er sich sicher fühlt, wird er nachlässig. Dann hast du deine Chance.“
Ich atmete tief durch, den Finger am Abzug, und wartete. Der Fuchs bewegte sich kaum, als hätte er beschlossen, dass wir keine Bedrohung für ihn waren. Dann, plötzlich, blieb er stehen, das Mondlicht fing sich in seinem Fell und ließ ihn fast leuchten. Es war der perfekte Moment.
„Jetzt“, flüsterte Großvater.
Ich zog den Abzug und der Schuss durchbrach die Stille der Nacht wie ein Peitschenschlag. Der Fuchs zuckte, fiel und blieb regungslos im Schnee liegen. Für einen Moment stand die Zeit still. Der Wald, der gerade noch so lebendig gewesen war, schien den Atem anzuhalten.
Wir gingen langsam auf den Fuchs zu. Das Knirschen des Schnees unter unseren Stiefeln war das einzige Geräusch. Mein Herz schlug immer noch schnell, die Anspannung war noch nicht ganz abgefallen. Als wir bei dem Tier ankamen, kniete sich mein Großvater nieder, strich mit der Hand über das dichte rötliche Fell und nickte anerkennend. „Ein prächtiger Bursche“, sagte er leise. „Du hast ihn sauber erlegt. Keine Schmerzen, kein unnötiges Leid. So gehört es sich.“
Ich lächelte, stolz auf mich und erleichtert, dass es so gut geklappt hatte. Es war ein Moment, den ich wohl nie vergessen würde – mein erster Fuchs, erlegt im Licht des Vollmonds, an der Seite meines Großvaters. Dieser Augenblick fühlte sich fast ehrfürchtig an, als ob wir dem Wald und dem Fuchs etwas schuldig wären. Es war nicht nur ein Jagderfolg, es war für mich ein ganz besonderer Moment, den ich nun erlebte.
„Früher“, begann mein Großvater wieder, während er den Fuchs betrachtete, „da hätte dieser Pelz einen guten Preis gebracht. Heutzutage wird das leider nicht mehr so geschätzt. Aber weißt du, was mir wichtiger ist als jeder Pelz?“ Er sah mir direkt in die Augen. „Dass du begreifst, warum wir das tun. Es geht nicht darum, nur zu erlegen. Es geht darum, die Natur ins Gleichgewicht zu bringen. Reineke ist schlau, und er hat seinen Platz im Wald, aber bei zu vielen von ihnen hat das Niederwild keine Chance.“
Ich nickte langsam, obwohl ich das schon wusste. Für mich war es keine Frage des Geldes oder des Trophäensammelns. Ich wollte etwas zurückgeben, einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität leisten. Der Fuchs war Teil eines größeren Ganzen, und es war unsere Aufgabe, dieses Gleichgewicht zu wahren.
„Ich sage dir, Junge, diese Nacht hier – die wirst du nicht so schnell vergessen. Das ist Jagd, so wie sie sein soll.“
Ich grinste. Ja, ich verstand, was er meinte. Es ging nicht nur um den Erfolg, sondern um das Erlebnis selbst, um die Verbindung mit der Natur, die man nur dann spürte, wenn man sich ganz auf sie einließ.
Wir schulterten den erlegten Fuchs und machten uns auf den Rückweg. Der Mond stand immer noch hoch am Himmel und der Schnee funkelte unter unseren Füßen. Der Weg durch den Wald fühlte sich kürzer an als zuvor, als hätten wir etwas gewonnen, das uns stärkte. Wir hatten nicht nur einen Fuchs erlegt, wir hatten die Jagd auf eine Weise erlebt, die uns beide verband – über Generationen hinweg.
„Weißt du, Junge“, sagte mein Großvater, während wir langsam durch die dunklen Tannen stapften, „es ist gut, dass du das verstehst. Die Natur ist unser Lehrmeister, und wenn wir ihr mit Respekt begegnen, gibt sie uns alles, was wir brauchen. Reineke war ein kluger Bursche, aber heute Nacht hattest du die Geduld auf deiner Seite. Und das ist der wahre Lohn der Jagd.“
Ich sah ihn an, und in diesem Moment wusste ich, dass ich meinen Platz gefunden hatte – an seiner Seite, im Wald, in der Tradition der Jagd. Der alte Jäger und der junge Jäger, vereint in einer stillen Winternacht, unter dem leuchtenden Vollmond.
Diese Nacht würde ich für immer in meinem Herzen tragen. Sie war mehr als nur eine Jagd – sie war ein Lehrstück in Geduld, Respekt und dem feinen Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur.