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Franz Ferdinand und die weiße Gams 

Franz Ferdinand, der letzte Thronfolger der Habsburgerreiches, war Zeit seines Lebens ein begeisterter, aber auch umstrittener Jäger. Zeitgenossen attestierten ihm eine „pathologische Jagdleidenschaft“. Im Sommer 1913 erlegte er im Tennen Gebirge eine weiße Gams – mit weitreichenden Folgen, will man alten Volksweisen Glauben schenken.

Der 28. Juni 1914 sollte einer der folgenreichsten Tage für die jüngere europäische Geschichte sein. An diesem Tag wurde Erzherzog Franz Ferdinand, der seit 1896 Thronfolger von Österreich war, in Sarajevo erschossen. Er und seine Frau Sophie Chotek, die bei dem Attentat ebenfalls ihr Leben verlor, reisten aufgrund eines Militärmanövers in das damalige Kronland Bosnien und Herzegowina.

Das Attentat, das von einer konspirativen serbischen Gruppe mit dem Namen „Schwarze Hand“ (Serbisch Crna Ruka) geplant und ausgeführt wurde, wird heute zwar nicht als unmittelbarer Auslöser des Ersten Weltkrieges angesehen, aber es gab den Startschuss zur Julikrise, die die bereits vorhandenen Spannungen zwischen den europäischen Großmächten, die durch diverse Bündnisse untereinander koalierten, aufs Äußerte belastete. Der Erste Weltkrieg konnte nicht mehr verhindert werden. So zumindest die gängige Einschätzung jener Ereignisse, die sich an diesem Sommertag 1914 in der Innenstadt von Sarajevo abspielten. Will man hingegen alten Volksweisen und mythischen Überlieferungen Glauben schenken, wurde zumindest das Schicksal Franz Ferdinands schon im August 1913 besiegelt – und eine weiße Gams spielte dabei eine entscheidende Rolle. Aber alles der Reihe nach.

Zlatorog und das Gold im Berg Bogatin

In der jüngsten Vergangenheit entwickelte sich die Landschaft am Fuße der Julischen Alpen, dort wo sich die türkis-blaue Soča ihren Weg bahnt, zu einem kleinen touristischen Geheimtipp. Der Norden Sloweniens, der durch die Karawanken geografisch von Kärnten geschieden wird, ist heute ein Paradies für Wanderer. Vor allem der Triglav mit einer Höhe von 2.800 Metern und der ihn umgebende Nationalpark ziehen begeisterte Alpinisten aus nah und fern an.

Auch der Sagenschatz dieser Region ist eng mit der bergigen Natur, die für die Bewohner gleichsam Glück wie Unglück bedeuten kann, verbunden. Am eindrücklichsten wird das Motiv der gegenseitigen Abhängigkeit in der Sage rund um Zlatorog1 (Deutsch Goldhorn), den weißen Gamsbock mit goldenen Hörnern, verhandelt, die sich in Slowenien und den angrenzenden slawischen Ländern seit Jahrhunderten in unzähligen Varianten erzählt wird.
Im Zentrum der Sage steht ein junger Jäger aus den Julischen Alpen, der eines Tages bei der Pirsch im Gebirge inmitten unwirtlicher Geröllhänge und Felsen zu einer sattgrünen Wiese gelangte. Dort sah er eine Herde Gams weiden, die von einem prächtigen Gamsbock mit goldenen Hörnern angeführt wurde – Zlatorog. Man erzählte sich, dass Zlatorog Hüter eines Schatzes sei, der im Berg Bogatin liege. Reibe der Gamsbock seine Hörner an der Felswand des Berges, tue sich ein Tor auf und man erhalte Zugang zu unermesslichen Reichtümern.
Zwar war dem jungen Jäger bekannt, dass das Erlegen des schneeweißen Gamsbockes den eigenen Tod zur Folge haben würde, aber seine Habgier obsiegte und so forderte er das Schicksal heraus. Beherzt legte sich der Jäger auf die Lauer – und er sollte auch Anblick haben. Als der Gamsbock dann nah genug an den Jäger herankam, legte dieser an und feuerte sein Gewehr ab – Zlatorog sank getroffen zu Boden. Dort, wo das Blut des Gamsbockes die Erde benetzte, fingen augenblicklich rote Blumen zu blühen an: die Triglav-Rosen. Zlatorog aß von diesen Blumen und erlangte seine Kräfte zurück, mithilfe derer er zuerst den Jäger tötete und dann die satten Weiden inmitten der weiten Karstlandschaft so gründlich umgrub, dass dort bis heute kein Grashalm mehr wächst.
Der deutsche Schriftsteller Rudolf Baumbach, der von der Wucht dieses Sagenstoffes so angetan war, dass er im Jahr 1876 eine eigene Adaption vornahm, beendete sein Versepos „Zlatorog – Eine Alpensage“2 mit folgenden Zeilen: „Wo eh’mals fette Wiesen / Besät mit Sennerhütten, stundenweit /Sich streckten, lag ein Meer von Felsentrümmern.“

Heute noch stößt man in Slowenien allerorts auf Verweise auf die Zlatorog-Sage, etwa in Form von Gams-Skulpturen und nicht zu zuletzt als Maskottchen des Bierherstellers Laško, dessen Etiketten ein weißer Gamsbock mit goldenen Hörnern ziert. Aber auch anderorts kennt man Sagen von mythischen Tieren und Wesen, die Kostbarkeiten und Schätze der Natur schützen sollen.

Franz Ferdinand als Jäger

Aber was hat das jetzt alles mit Franz Ferdinand zu tun? Wo er die eingangs erwähnte weiße Gams doch nicht in der Krain – wie Slowenien zur Zeit der Doppelmonarchie hieß – erlegte, sondern im Blühnbachtal im Tennengau. Dazu muss man ein paar Dinge über den Jäger Franz Ferdinand vorausschicken.

Franz Ferdinand war Zeit seines Lebens ein begeisterter Jäger und ein hervorragender Schütze. Viele Erzählungen und Legenden kreisen um diese Seite seiner Persönlichkeit. So wird etwa erzählt, dass er den berühmten Buffalo Bill, als dieser 1906 mit seiner Wild-West-Show in Wien gastierte, bei einem Schießwettbewerb auf die Ränge verwiesen habe. Eine ähnliche, noch spektakulärere Geschichte soll sich bei einer ausgedehnten Jagdreise in Indien zugetragen haben. Franz Ferdinand und sein indischer Kontrahent warfen je drei Münzen in die Luft und versuchten, diese zu treffen. Während der indische Schütze lediglich einer Münze eine Delle verpasste, soll die Kugel des Thronfolgers alle drei auf einmal durschlagen haben.
Ob sich diese Episoden nun wirklich so zugetragen haben wie überliefert, lässt sich nicht mit Sicherheit belegen. Was sich aber aus Aufzeichnungen des Jagdadjutanten Hoschtalek gut rekonstruieren lässt, ist die Jagstrecke, die Franz Ferdinand im Laufe seines gesamten Lebens erlegte: Diese beläuft sich auf sage und schreibe 274.889 Stück Wild. Ein großer Teil der Trophäen lässt sich heute im Schloss Konopiště, knapp 40 Kilometer südlich von Prag, besichtigen.

Wie man in der letzten „Jagern“-Ausgabe lesen konnte, war die Jagd ein fixer Bestandteil der adeligen Lebenswelt und wurde nachgerade zelebriert. Weidgerechte Jagd, wie sie heute von Jägern betrieben und gelebt wird, war damals noch kein Thema. Zeitgenossen von Franz Ferdinand attestierten dem Thronerben eine pathologische Schießwut und interpretierten diese als eine Spielart der Dekadenz des Fin de Siècle.

Jagrevier Schloss Blühnbach

Besonders viel Zeit verbrachte Franz Ferdinand im Jagdschloss Blühnbach im gleichnamigen Blühnbachtal unweit von Werfen. Im Süden wird das Tal vom mächtigen Hochkönig-Massiv begrenzt, im Norden erheben sich die letzten Ausläufer des Göllstocks gen Himmel. Das Schloss wurde in den Jahren 1603 bis 1607 im Auftrag von Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau anstelle eines hölzernen Jagdhauses errichtet. Die barocke Immobilie, sowie das dazugehörige Revier (14.000 Hektar) kamen 1908 in den Besitz der Habsburger. Vor allem unter der Ägide von Franz Ferdinand fanden weitreichende Umbau- und Sanierungsarbeiten statt und es wurde eine moderne Zufahrtsstraße angelegt, um bequem und schnell mit dem gerade en vogue gewordenen Auto anreisen zu können.

Ein verheißungsvoller Tag im August

Am 27. August 1913 begab sich Franz Ferdinand gemeinsam mit seiner Ehefrau Sophie Chotek von Chotkowa und seinem Leibjäger Mittendorfer auf die Jagd. Für gewöhnlich bearbeitete Franz Ferdinand bei der Jagd unter anderem Korrespondenzen und erst wenn er von seinen Gefährten auf heranwechselndes Wild aufmerksam gemacht wurde, nahm er die Büchse zur Hand und blickte auf.

So auch als eine weiße Gams vor dem Hochstand der kaiserlichen Jagdpartie auftauchte. Franz Ferdinand dürfte nicht lange gezögert haben und erlegte das schicksalsträchtige Tier. Er selbst dürfte als leidenschaftlicher Jäger von den Folgen gewusst haben, die den Schützen der Sage nach ereilen sollen. Als er seine Frau über den Abschuss in Kenntnis setzte und ihn diese bestürzt fragte, warum er die Gams dennoch erlegt habe, soll Franz Ferdinand lakonisch bemerkt haben: „Na, wenn man sterben muss, stirbt man sowieso.“

Woher diese Haltung Franz Ferdinands rührte, lässt sich im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit sagen. War sie einfach seiner Jagdleidenschaft geschuldet? Schließlich wurden am selben Tag zwei Gamsgeißen und weitere 21 Gamsböcke erlegt. Oder waren etwa Franz Ferdinand, der als überzeugter Katholik galt, abergläubische Sagen und Volksweisen zuwider und er wollte den Mythos eigenmächtig widerlegen? Der Sagenstoff könnte übrigens durch slawische Stämme, die ab dem 6. Jahrhundert in dieser Gegend siedelten, in den Ostalpenraum vorgedrungen sein und sich dort mit lokalen Erzählungen amalgamiert haben.

110 Jahre später

Heutzutage wird keiner ernsthaft behaupten, dass Franz Ferdinand mit dem Abschuss der weißen Gams sein eigenes Schicksal oder gar das des ganzen europäischen Kontinentes besiegelte. Was aber bleibt, ist das bis zum heutigen Tag faszinierende Verhältnis von Mensch und Natur. Die Jahrtausende hindurch beschäftigte diese fundamentale Frage die Menschen – man denke hier an die frühesten künstlerischen Darstellungen von Wild und Natur in der Höhle von Lascaux – und gab Anlass zu tiefer Reflexion über das eigene Dasein und Schicksal.

Erst in den letzten 200 Jahren wurde dieses Verhältnis durch die modernen Naturwissenschaften Stück für Stück rational aufgeklärt – und dadurch schlussendlich auch entzaubert. So mag es die feine Ironie der Geschichte sein, dass man jene weiße Gams, die Franz Ferdinand im Sommer 1913 erlegte, heute im „Haus der Natur“ im Rahmen der Dauerausstellung „Mensch und Natur in Fabel und Mythos“ bewundern kann.

Autor: David Mehlhart